Alltags-Wahnsinn · Therapieerfahrungen

Agentur Traumazeitwelt

#wonderapp

Wortlos. Tonlos.

So war das, als ich ein Kind war. Etwa wie der Gesichtsausdruck des Kindes auf dem Bild, was von einer App erstellt wurde, um ängstliche Traurigkeit darzustellen. Trifft es das? Ich weiß es nicht. Denn ich kann sehr schwer Emotionen in Gesichtern erkennen. Für mich ist es ein Pokerface ohne jeden Ausdruck. Würden dort Tränen sichtbar sein, würde ich mutmaßen, dass es wohl um Angst oder Traurigkeit gehen wird.

„Lach doch mal“ und dann habe ich mühsam versucht meinen Mund zu einem Lächeln zu verziehen, während der Rest ausdruckslos blieb. Nur bedienen was verlangt und erwartet wird. Anpassungsleistung.

2,5 Jahre sind inzwischen vergangen, seit ich der Ärztin gegenübersaß, die mich zum ersten Mal sah und nicht verstehen konnte, warum zuvor niemand den Autismus bei mir bemerkt hat. Ich würde gerne behaupten, dass ich so gut angepasst war, dass man ihn nicht bemerken konnte. Doch das stimmt nicht. Anpassung hätte bedeutet, dass ich mehr getan hätte als immer nur zu lächeln. Ich fiel aus dem Rahmen, ich passte nicht.

Ich passte nicht in die Familie in der ich aufwuchs. Nicht in die Schule. Nicht zu den Nachbarskindern und auch nicht in die Familien aus dem sozialen Umfeld meiner Eltern. Ich war überall unpassend und falsch.

Später in Therapien erfolgte nichts anderes als eine beständige Wiederholung vom Falschsein. Und eine permanente Wiederholung von so tun als wäre ich passend. Mein Kopf versuchte aufzuschnappen wie die anderen sich verhielten und es ihnen gleichzutun. Er versuchte herauszufinden was erwartet wird und ich war bemüht genau das zu bedienen.

Ja klar, um keinen Ärger zu bekommen, um akzeptiert zu sein, um Anrecht zu haben und Berechtigung.

Nur geholfen hat all das leider nicht.

Es hat einzig bewirkt, dass ich meine Seele mehr und mehr zersplittert habe. Weg von dem was an mir nicht passt. Den Alien in mir wegsperren, ihn ausmerzen durch so tun als sei ich genau wie all die anderen.

Smalltalk führen, nach dem Befinden fragen, über das Wetter reden, Belanglosigkeiten austauschen. Und dabei mehr und mehr an Kraft verlieren, weil es viel zu sehr anstrengt. Mich fragen, warum nur strengt es offenbar all diese Leute nicht an. Und keine Antworten erhalten. Daraus den Schluss ziehen, dass etwas mit mir falsch sein muss, ich falsch empfinde, wenn es mich so erschöpft was allen anderen doch offensichtlich Kraft gibt. Ein ums andere Mal wieder einen Splitter meiner Seele dissoziiert. Einen für jede Leistung die verlangt wurde. Springen durch all die Schablonen, um die passende abzurufen. Auf Stichworte. Trigger. Gesten.

Fast 50 Jahre andauerndes Arrangement in der Firma „angepasstest Leben schaffen“, bis ich den Vertrag mit der DIS anzweifelte und ihn kündigte. Bis ich realisierte, dass mein Leben aufgebaut war auf Grundlagen, die nicht mein eigenes Leben sind. Es sind nicht meine Maßstäbe, nicht das was ich bin und sein will. Es ist das Leben eines Schauspielers, der immer nur bemüht war seine Rolle zur Zufriedenheit anderer zu spielen und sich selbst dabei eigentlich weder kannte noch finden konnte.

Ich habe den Vertrag gekündigt mit der Traumazeitagentur. Dieser Knebelvertrag, der mich verpflichtete Regeln zu erfüllen, die Menschen aufgestellt haben, die nur ein Ziel verfolgten. Nämlich mich und meinen Körper zu benutzen, um ihre eigenen Unzulänglichkeiten, rauszulassen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sich an mir zu sättigen. Deren Ziel war es ausschließlich, mich zu benutzen wie man einen Gegenstand benutzt. Meine Seele war dabei unwichtig. Die hatte mitzuspielen. Die hatte zu funktionieren.

Immer schön nach deren Regeln. Keine Grenzen setzen, nicht Nein sagen, nicht weinen, nichts ausplaudern. Runterschlucken, Klappe halten und immer schön freundlich lächeln. Keine Wut, keine Tränen, keine Angst zeigen. Alles schlucken, wegschieben, ausblenden. Mich anpassen. Immer wieder. An jede neue Szene, an jeden Täter und jede Situation. Auch dann noch als die Täter nicht mehr aktiv Teil meines Alltags waren. Ihre Regeln galten immer. In jedem Splitter meiner Seele, der dazu diente, sich an Traumaerleben anzupassen.

Da kann man nicht den Vertrag kündigen und einfach eben in der Agentur „Ich-Sein“ neu beginnen. So funktioniert das nicht. Die Splitter sind doch da. Die haben doch nichts anderes gelernt als all diese ollen, blöden Täterregeln. All den Mist, der nur den anderen diente.

Aber da kam die Autismusdiagnose. Das Feststellen, wie unrecht sie hatten in all den vielen Kliniken und Therapien, wo sie geschimpft haben und mich abgestempelt als hoffnungslos, übertherapiert, zu schwer traumatisiert.

Ihre Methoden waren schlicht nicht abgestimmt auf das was mein Gehirn verwerten und daraus lernen kann. Es gab nur sehr wenige Erfahrungen bei denen sogenannte Fachleute fähig waren mich zu sehen und etwas von dem was hinter dieser Fassade der Anpassung zu entdecken war.

Sie hatten mich gelehrt, dass all die Menschen, die mich gequält haben durch seelische Grausamkeiten, körperliche Folter, sexuelle Übergriffe, emotionalen Sadismus, berechtigt waren dies zu tun, weil ich schlicht falsch bin. Weil ich falsch bin und man mich umerziehen muss, damit ich passe.

Sie waren nicht besser. Nur anders. Perfider, weil sie sich hinter dem Decknamen Therapeut, Arzt, Helfer versteckten.

Immer wenn ich dachte, einer sei anders, dieser eine Mensch würde mich sehen und mir helfen, wirklich ich selbst zu werden und zu sein. Mir das Licht halten, während ich nach den unzähligen Splittern meiner Seele suche, um nur keinen zu übersehen. Denn ich wäre nicht ganz, es würde auch nur ein einziger Splitter fehlen. Es war vergebliche Hoffnung. Es unterschied sich nicht ein Einziger wirklich von den anderen. Auch nicht die, bei denen ich sehr lange blieb. Meine Verzweiflung war da nur größer und gleichzeitig der Wunsch danach, endlich einen Menschen gefunden zu haben, bei dem es anders werden kann.

Doch am Ende ging es bei egal wem doch immer nur um Anpassung an aufgestellte Regeln. Freundlich lächeln und die Regeln einhalten. Regeln wie „Kein Körperkontakt“, obwohl meine Seele daran verdurstet. Oder „die Stunde wird pünktlich beendet“, auch dann wenn gerade alles emotional so überflutet ist, dass ich es kaum noch die Treppe nach unten schaffe. „Keine Suizidgedanken, weil du keinen Grund hast“, ……….. egal wie ich mich fühle, egal was ich denke, egal wie sich in meinem Brustkorb der alte Schrei den Weg bahnt, gehört zu werden.

Sie zücken nur ihre Stempel und verurteilen mich.

Ganz gleich ob als Autistin oder Mensch mit DIS.

Ich bleibe das Ergebnis von jahrzehntelanger komplexer Traumatisierung und die Welt erwartet, dass ich nichts davon zeige. Ich habe mich anzupassen und anscheinend normal zu sein, ohne eine Ahnung, was Normal eigentlich sein soll. Und wo doch mein Gehirn gar nicht dieser Norm entspricht und sie nicht erreichen kann.

Oh, und ich vergaß zu erwähnen, dass man als Aussteiger auch in der Traumwelt nicht mehr willkommen ist. Denn AussteigerInnen scheinen den anderen zu gefährlich. Bedeutet es doch, dass man selbst zu versagen scheint……… und sie sind eben doch auch nur „normal“ und müssen die niedertrampeln, die etwas schaffen, woran sie selbst glauben zu scheitern.

Ist mir egal. Die Agentur „Ich-Sein“ bietet mir 365 Tage pro Jahr volles Recht auf Autonomie und absolut freie Zeiteinteilung. Ich arbeite so viel ich kann und mag. Darf mir Auszeiten nehmen wie ich sie brauche und auch mal alles in die Tonne treten, wenn sich etwas als blöd herausstellt. Ganz ohne dafür Ärger zu bekommen oder hinterfragt zu werden. Sie bietet den Rahmen in dem jeder Splitter meiner Seele seinen Platz finden darf und sich dort in der Weise einrichten kann, wie es sich richtig anfühlt. Und das alles mit der Zeit die es braucht.

Ich denke hier mag ich nicht kündigen.

Alle anderen Agenturen sind einfach nichts mehr für mich.

Und den kleinen Menschen auf dem Bild, den mag ich an die Hand nehmen und ihnen wissen lassen, dass er es nicht alleine schaffen muss.

Das Leben sollte kein Kampf gegen sich und andere sein, sondern eine Chance auf etwas ganz Eigenes.

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