Ich habe hier schon oft über meine Therapie und meine Therapeutin geschrieben, über meine Gefühle die durch sie und die Therapie durcheinandergewirbelt werden und in welche Nöte ich dadurch auch immer wieder innerlich gerate.
Nun bekam ich gestern von Mariesofie einen Kommentar auf meinen letzten Artikel, der mich zum Nachdenken angeregt hat. So sehr, dass ich nun zu ihrer Frage einen eigenen Artikel schreiben möchte.
Liebe Strandkrabbe,
sehr interessiert habe ich diesen Artikel gelesen, wie viele von dir. Möchte dich unbedingt etwas fragen, damit ich es richtig kapieren kann. Du lebst in einer Partnerschaft, denn du erzählst ja immer von der Liebsten. Wenn dem so ist, dann müsstest du doch Vertrauen, Nähe und die anderen Dinge bewusst mit ihr erleben. Also würde ich das als eine Erfahrung einstufen. Was ich nun nicht verstehe ist, was anders mit deiner Therapeutin ist! Warum hast du dort die Näheprobleme und immer wieder die Angst vor dem Verlassen werden? Ich selbst habe die Probleme auch, aber bin in keiner Beziehung. Das heißt, ich will mich an den einzigen Bezugs-Menschen klammern. So denke ich, dass ich diese Probleme vielleicht nicht hätte, wenn mein Herz vergeben wäre an jemand anderen, verstehst du? Hilf mir mal, das zu verstehen. Sei lieb gegrüßt von Kathrin
Ja, ich lebe in einer Partnerschaft mit einer Frau, mit meiner von mir hier genannten „Liebsten“. Im realen Leben sage ich das so nicht 😉 Und ich lebe schon seit 9 Jahren mit dieser Frau zusammen. Und weil ich sie hier meist nur am Rande erwähne, könnte jeder Leser den Eindruck gewinnen, dass alles paletti ist, die Beziehung gut läuft, alles prima. Das ist natürlich nicht so. Ich bin multipel, habe immer wiederkehrende suizidale Krisen, verletze mich selbst, habe noch tausend andere Verhaltensauffälligkeiten. Wenn damit eine Partnerschaft problemlos und prima funktionieren könnte, würde es mich sehr erstaunen. Und wer nun denkt, dass es doch sicherlich einfacher ist, weil sie Sozialpädagogin ist und lange in der ambulanten Betreuung gearbeitet hat, liegt auch ziemlich daneben. Zuhause ist auch mein Schatz ein ganz normaler Mensch mit ganz eigenen teils egoistischen Bedürfnissen. Und wenn ich wollte, könnte ich mich hier seitenlang über all das auslassen, was so richtig nervig im Miteinander ist. Es würde euch sicherlich langweilen, weil auch das alles nicht so ungewöhnlich ist.
Aber nun mal mehr zu dem eigentlichen Thema. Wo genau liegt denn nun der Unterschied zwischen der Beziehung zu meiner Therapeutin und meiner Partnerschaft. Eine sehr interessante Frage wie ich finde. Und so viel Gemeinsamkeiten es gibt, so viel Unterschiede gibt es auch.
Da ist schon mal an erster Stelle der Unterschied, dass ich in einer Partnerschaft ein erwachsener, gleichberechtigter Partner bin. In der Therapie darf ich alles sein, Kind, Teenager, Jugendliche, Erwachsene.
In der Partnerschaft gibt es ein Geben und Nehmen, in der Therapie eher ein Nehmen auf meiner Seite und ein Geben auf der Seite der Therapeutin. Irgendwie gebe ich da zwar auch, aber anders.
Das sind zwei recht wesentliche Unterschiede. Aber ich denke, ich sollte hier einiges sowohl zu meiner Therapie als auch zu meiner Partnerschaft erklären. Und ich sollte etwas mehr zu meinen Ängsten vorm Verlassenwerden und der Näheproblematik in Beziehungen schreiben.
Also, ich bin rein von außen betrachtet ganz normal in einer Familie mit Eltern und vier Geschwistern aufgewachsen. Eigentlich alles gut könnte man meinen. Wäre es nicht so, dass man mich nicht gewollt hat. In dem Moment als klar war, dass ich im Bauch der Mutter heranwachse, war ich bereits zu viel. Es gab noch die Hoffnung darauf, dass es ein Junge würde, die sich dann aber leider zerschlug. Geborgenheit, Wärme, Nähe, Sicherheit, Beschütztsein, Gehaltenwerden, das alles hat es nicht gegeben. Ich wurde hin und hergeschoben zwischen unterschiedlichen Menschen, die mich beaufsichtigten. Es gab nichts zuverlässiges außer dem täglichen Ritual wenn mein Vater zur immer selben Zeit von der Arbeit kam und mir ein Viertel seines Brotes mit immer dem gleichen Belag mitbrachte. An diesem Ereignis hielt ich mich fest. Es war der einzige Moment im Tagesverlauf, der sicher war und an dem Realität aushaltbar war. Es war alles, was ich an Liebe durch einen Elternteil erfuhr. Ich habe mir eine Phantasiewelt geschaffen, in der es eine Mutter gab, die mir alles gegeben hat, was ich mir immer gewünscht habe. Dorthin konnte ich mich flüchten, wenn ich traurig war, dorthin bin ich gegangen wenn ich Angst hatte, wenn ich glaubte sterben zu müssen. Sie war da und verfügbar, aber sie existierte nur in meiner Phantasie. Der Wunsch danach, eine solche Mutter ganz real zu haben wurde mit den Jahren immer größer. Die Überzeugung, dass mich niemand haben wollen würde auch. Immer wieder habe ich Frauen auserwählt als Ersatzmütter, aber sie durften natürlich nichts wissen.
Als ich älter wurde, Jugendliche, geriet meine Gefühlswelt durcheinander. Noch immer gab es Frauen, für die ich eine gewisse Art von Liebe empfand, nur jetzt wusste ich nicht mehr, ob ich eine Mutter will oder eine Partnerin. Und am schlimmsten war eigentlich, dass alle anderen Menschen gedeutet haben, dass ich verliebt sei. Und im Grunde wollte ich noch immer nur eine Mutter, bei der ich das finden kann, was ich nie bekommen habe. Aber das durfte ja irgendwie nicht mehr sein.
Als ich dann als junge Erwachsene an eine Therapeutin geriet, die gewillt war, diese Rolle zu übernehmen, war gefühlt auf einmal alles stimmig. Sicherlich hat es Menschen gegeben, die nichts davon verstanden, Menschen, die meinten das alles dürfe nicht sein. Und ja, einiges war falsch, hätte so nicht geschehen sollen. Es war nicht gut, dass ich und wir alle sie Mami nennen durften, es war nicht okay, dass sie Postkarten aus dem Urlaub geschrieben hat, unter denen Mami stand. Es war nicht gut, dass sie gesagt hat, ich würde immer ihr Kleines bleiben. Und es war falsch und ganz schlimm, dass sie mich eines Tages aus ihrem Leben geschmissen hat und mich als „so Eine“ bezeichnet hat. Doch eines war unabdingbar richtig und wertvoll. Nämlich, dass sie mir einige Zeit gezeigt hat wie sich Geborgenheit anfühlen kann. Leider habe ich bei ihr erneut die Erfahrung gemacht, dass Menschen mich verlassen und Geborgenheit sich in Gefahr wandelt.
Aus der Suche nach einer Ersatzmutter wurde die Suche nach Halt. Und auch den wollte mir niemand geben. Wie oft habe ich Sprüche gehört wie „Halt geben musst du dir selbst, das kann kein anderer“. Aber ich kann das auch nicht. Kurzzeitig gab es einen ganz wunderbaren Menschen, der mir wirklich Halt gegeben hat, mir eine Mutter war obwohl dafür viel zu jung. Sie war Betreuerin im ambulant betreuten Wohnen und sie war einfach toll. Und natürlich scharrten die Kritiker mit den Hufen. Es wäre Verliebtheit und sie würde Grenzen überschreiten und und und. Nein, ich war nicht verliebt, ich hatte sie lieb wie ein Kind die Mutter liebt, weil sie so liebevoll und fürsorglich mit mir als Gesamtperson umging. Und Grenzen, berufliche Grenzen und persönliche hat sie nie überschritten. Sie war nur einfach mit ihrem Herzen mehr bei mir als es viele ihrer Kollegen können und wollen. Und doch hat sie etwas getan, was ganz schlimm für mich war. Sie hat mir nicht gesagt, dass es Pläne gibt, wegzuziehen, sie hat nicht gesagt, dass sie eine Ausbildung zur Kinder- und Jugendtherapeutin gemacht hat, während sie mich betreut hat. Eines Tages habe ich, weil ich gespürt habe, dass etwas nicht stimmt, erfahren, dass sie in einem guten Monat wegziehen würde. Für mich ist die Welt zusammengebrochen. Aber sie machte auch noch den nächsten Fehler. Sie versprach, im Kontakt zu bleiben, Mails zu schreiben. Und nach ein paar Monaten passte auch das nicht mehr in ihr Leben. Ich und wir passten nicht mehr rein. Und das war fast noch schlimmer.
Und dann lernte ich wenige Monate danach meine Liebste kennen. Die Gefühle und die Bedürfnisse waren keine anderen als bei den Frauen, die ich zuvor erwähnt habe. Sie hat mich betreut und alles war auch so wie es zu sein hat. Bis dann eben in einer Krise die mich in die Klinik brachte, meine innere Not viel deutlicher sichtbar wurde. Die Haltlosigkeit wurde so offensichtlich. Und sie hat mich gehalten, sie hat mich beschützt, mich spüren lassen, dass ich sicher bin in ihren Armen.
Nun hatte ich zuvor oft genug erlebt, dass diese Menschen mich verlassen. Ich wollte nicht, dass sie das tut, endlich sollte einer da bleiben. Und bis heute bin ich nicht sicher, ob ich mich wirklich in sie verliebt habe oder einfach nur einen Weg gewählt habe, um mich sicherer zu fühlen. Am Anfang schwebte ich auf rosaroten Wolken. Ich fühlte mich großartig, so normal und okay. Therapie, wer braucht das schon. Sicherlich hatte ich Angst vor der Nähe, aber diese auch sexuelle Nähe, gab ja Sicherheit, sie kannte ich ja. Die Menschen, die mich sexuell benutzt haben, die sind ja nicht gegangen obwohl sie doch hätten bleiben sollen. Diese Menschen blieben doch meist viel länger als mir lieb war. Aber bei ihr war es anfangs anders. Ihr konnte ich sagen was mir Angst macht. Und sie hat mir geholfen Wege zu finden mit der Angst die Erfahrung zu machen, dass mir nichts schlimmes passiert. Sie hat mir Halt gegeben. Und mit den Jahren, in denen sie mir immer wieder gezeigt hat, dass sie da bleibt, dass sie mich nicht verlassen wird, wurde sie zum sicheren Anker. Die Liebste bleibt da, auch wenn es noch so stürmt und ich fürchte zu kentern, sie bleibt da. Sie bleibt da, egal ob ich jemals verliebt war oder sie einfach nur ganz unglaublich doll lieb habe oder ob ich sie liebe. Sie bleibt da, egal ob es die Gefühle eines Kindes oder die einer erwachsenen Frau sind. Und dennoch gibt es Tage an denen ich sie hundertfach frage, ob sie mir wirklich und ganz bestimmt noch liebt. Und es gibt Momente, in denen ich sicher bin, sie müsse mich hassen und könne es gar nicht mit mir aushalten. Meine Ängste sind nicht weniger geworden. Nur ihr Verhalten, ihre bedingungslose Liebe lässt es anders sein.
Und ich habe lange geglaubt und mir eingeredet, dass ich niemanden außer ihr brauche. Ich habe gespürt, dass der Wunsch nach der Ersatzmutter noch immer ganz groß ist. Aber könnte die Liebste nicht beides sein, Partnerin und Mutterersatz?
Heute habe ich darauf eine Antwort gefunden. Nein, sie kann das nicht! Sie kann nur Partnerin sein. Sie kann nicht Mutterersatz und nicht Therapeutin sein und sie kann auch nicht Betreuerin für mich sein. Sie kann nur Partnerin mit allen Facetten sein, die sie in sich hat. Und sicherlich ist sie da auch manchmal ein kleines Stück Mutter und manchmal eine Funken Beraterin die sich etwas auskennt. Aber eine Frau, die ihre Sexualität mit mir auslebt, kann nicht für mich Mutterersatz sein. Denn es würde nur eine Neuauflage meiner Kindheit sein. Nichts wäre anders, nichts würde sich verändern können.
Und damit komme ich zu meiner Therapeutin und meiner Beziehung zu ihr. Meine Therapeutin entsprach rein optisch vom ersten Sehen an dem Bild der Frau, die ich in der Phantasiewelt meiner Kindheit zu meiner Ersatzmutter gemacht hatte. Und natürlich durfte sie das nicht wissen. Inzwischen hatte ich doch gelernt, dass man solche Ersatzmütter nicht wünschen darf. Und es hat auch einiges an Zeit gebraucht, bis dann mal ein Innenkind vorpreschte und ihr sagte, dass sie wie die gewünschte Mami sei. Sie hat gesagt, dass sie keine Mami sein kann, weil sie keine ist. Wieder wurden Wünsche und Sehnsüchte verboten. Aber in mir ist die Sehnsucht ja dennoch gewachsen. Sie sieht doch so aus und sie verhält sich so und überhaupt, ich will doch endlich diesen Menschen gefunden haben, der so lange nur in der Phantasie existiert hat. Und mit der Zeit wurde immer klarer, dass wir etwas falsch verstanden haben. Sie hat nie gesagt, dass, sie nicht das sein kann, was ich so sehr brauche. Sie ist wie eine gute Mutter sein sollte. Sie gibt mir all das, was ich als Kind nie bekommen habe. Sie ist bedingungslos da, sie hält mich, hat mich lieb auch wenn ich anstrengend und schwierig bin. Aber das zu glauben ist einfach schwer. Immer lauter die Angst im Hintergrund, immer erwarte ich den Moment an dem der Traum vorbei ist. Ich schwanke zwischen der extremen Sehnsucht nach ihrer sicheren körperlichen Nähe und der Angst verlassen zu werden. Und wenn alles zu viel wird, dann will ich den Kontakt abbrechen, um die Zerrissenheit nicht mehr aushalten zu müssen.
Die Mutter meiner Kindheit hat mir regelmäßig angedroht, mich ins Heim zu stecken, in ein Erziehungsheim, weil ich so schwierig sei. Und zu glauben, dass da heute ein Mensch sein kann, der mich auch dann noch lieb hat, wenn es mir schlecht geht und ich die innere Not zeige, ist unendlich schwer.
Und nun wird der Leser feststellen, dass es einige Parallelen zwischen der Partnerschaft und der therapeutischen Beziehung gibt. Ja, denn beides ist Liebe, und doch auf völlig verschiedene Arten.
Ich habe eine Therapeutin und eine Therapiemethode gefunden, die perfekt zu mir passt. Einen Menschen, der sehr gut zu mir passt. Und oft bin ich verwirrt, weil ich Sorge habe, mich in diese Frau verliebt zu haben. Aber dann gibt es die Momente, in denen ich weiß, dass ich sie unendlich doll lieb habe, weil sie mir gibt, was ich als Kind nie hatte. Mit erwachsener, sexuell begehrender Liebe hat das nichts zu tun. Ich kuschle mich an sie, weil sie mich beschützt und geborgen hält und meine Kinderseele das so sehr braucht. Und ich muss nicht aufpassen, wenn ich bei ihr bin, weil sie die Erwachsene ist, die aufpasst, weil sie das tut, was früher niemand getan hat. In der Beziehung mit meiner Therapeutin kann ich neue Erfahrungen machen, kann sich Veränderung entwickeln. Ich kann mich ausprobieren und experimentieren, sofern ich mich das traue und es mir erlauben kann. Sie wird mich nicht wegschicken, weil ich mich blöd verhalte, oder weil ich mal enttäuscht bin oder wütend. Mein Kopf weiß das! Aber die Kinderseele ist noch viel zu wenig mit Geborgenheit, Wärme, Beschütztsein, Gehaltenwerden und Sicherheit gefüllt, um glauben zu können, nicht wieder weggeschickt zu werden. Das braucht noch ganz unendlich viele Tropfen, die da hineintropfen müssen, um das wirklich ganz sicher glauben zu können. Dafür reichen 10 Monate Zeit nicht aus, selbst dann nicht, wenn sie ganz intensiv wären.
Genau diese Tropfen kann meine Partnerin in die Kinderseele nicht tropfen lassen. Sie kann nur mit mir leben. Sie kann nicht die Wunden meiner Kindheit heilen. Nur dableiben und zusehen, wie aus dem verletzten Kind mit der Zeit ein Mensch wird, der sich annehmen und lieben kann. Und diese Veränderung kann nur in der Beziehung mit der Therapeutin geschehen.
Gefällt mir Wird geladen …