Ich bin wohl sowas wie ein Meister darin, Dinge zu beleuchten, von allen erdenklichen Seiten. Alles zu hinterfragen. Nichts für klar und selbstverständlich anzunehmen. Und dann spreche ich es aus, schreibe es nieder, teile mit, was für viele tausende Gedanken durch meinen Kopf wirbeln.
Ich spreche Wahrheit aus, die andere schmerzt. Bringe Dinge zur Sprache, die andere aus Diplomatie oder Rücksichtnahme heraus besser runterschlucken. Und lasse mir vorwerfen, rücksichtslos und verletzend zu sein. Ja, ich weiß, es ist schmerzlich, wenn die Wahrheit ausgesprochen wird. Es tut weh, in sich selbst den Schmerz zu fühlen, weil jemand anderes ausspricht, was man am liebsten hinter dicken Mauern verbergen wollen würde.
Ich kann es nicht ausstehen zu lügen, hasse es, unehrlich sein zu sollen, um andere nicht zu verletzen. Ich mag nicht Verständnis heucheln wo ich keines empfinde. Will mich nicht mehr anpassen und in die Gesellschaft pressen lassen. Ich bin ich, einfach wie ich bin. Mit all den Anteilen, die zu mir als Mensch gehören. Mit all meiner Phantasie, meinen vielen Gedanken, die ständig in ganz unterschiedliche Richtungen zeitgleich gehen. Ich schlage nicht laut Alarm und gehe in die Öffentlichkeit, um zu protestieren. Protest ist für mich eine Form von Gewalt.
Gewalt hat mein Leben bestimmt, viel zu viele unendlich lange Jahre. Aber was bedeutet denn eigentlich Gewalt? Was verstehen die Menschen darunter? Es fallen Begriffe wie körperliche Gewalt oder psychische Gewalt. Doch wie Gewalt für einen Menschen aussieht, für den das alles so völlig alltäglich ist, dass er es gar nicht als etwas erkennen kann, was nicht geschehen dürfte, das wissen die wenigsten Menschen. Ich denke, es ist besser, eine Warnung auszusprechen, dass beim Weiterlesen erhöhte TRIGGERGEFAHR besteht. Aber ich mag auch keine passwortgeschützten Artikel.
Ich bin aufgewachsen in einer Familie, in der Gewalt in jeder Form zum Alltag gehörte. Und dennoch hat niemand es je erkannt. Gewalt hat so viele Gesichter. Und so viele Menschen, die alle Sinne versperren um nicht erkennen zu müssen, was nicht erkannt werden will.
Begonnen mit der Mutter die das Kind in ihrem Bauch nicht will. Sie wird das Kind schon lieben, wenn es erst mal auf der Welt ist. Sie hat ja schon vier, denen geht es doch auch gut. Überprüft hat das nie einer, ob es denen gut geht. Es hat auch niemand hinterfragt, ob sie ihre Kinder liebt. Sie ist die Mutter. Mütter lieben ihre Kinder. So ist das nun mal.
Dann waren wohl all die unzähligen Schläge und Tritte gegen den kleinen Körper normal. Dann ist das wohl Mutterliebe. Und dann ist es wohl auch ganz üblich, dass Mütter ihre Kinder unter Wasser drücken, wenn sie ihr Schreien nicht mehr ertragen. Alle Mütter stopfen wohl die Münder ihrer Kinder mit Essen voll und zwingen mit erhobener Hand dazu runterzuschlucken.
Doch Gewalt hat auch eine andere Seite, eine leise.
Wenn das Kind wie Luft behandelt wird, ignoriert, anderen verboten wird, mit ihm zu sprechen. Eingesperrt in einen kalten Kellerraum, ohne irgendeine wärmende Quelle. Am Abend ohne Essen ins Bett geschickt wird, weil es sich nicht an die Regeln gehalten hat.
Oder wenn die Mutter das Kind unter Androhung von Suizid dazu zwingt, selbst die Rolle der verantwortlichen Erwachsenen einzunehmen und für das Glück der Mutter zu sorgen. Auch das ist Gewalt.
Man bezeichnete mich nett als unartiges Kind.
Und niemand wunderte sich darüber, warum ich eigentlich immer schwieg, nie lachte, mein Blick immer gedankenverloren in die Ferne ging. Es hat niemand sehen wollen, dass mein Blick in mich gerichtet war, weil ich mich der Welt entzogen habe. Niemand hat die Wunden an der Seele gesehen, niemand die stummen Hilfeschreie gehört.
Als der „liebe Onkel“ eines Tages, als ich bereits fast erwachsen war, verkündete, dass ich ja sein Kind sei und er die ganzen Jahre immer für mich bezahlt habe, dies sogar mit Kontoauszügen belegen könne, hat meine Mutter es als dummes Geschwätz abgetan. Man hat es ihr geglaubt.
Die Wahrheit wollte keiner sehen. Er nicht, sie nicht und auch niemand drum herum.
Es passt nicht in ihr Weltbild. Eine arme Familie, die sich hochverschuldeten mit einem eigenen Haus. Da tritt der „liebe“ Schwager an die Mutter des Säuglings heran, mit einer denkbar guten Lösung. Er würde ihr monatlich gutes Geld zukommen lassen, damit es der Familie an nichts mangeln müsse, wenn er nur ein wenig Zeit mit dem Kinde verbringen dürfe.
Ich war sein Kind, weil er mich gekauft hat. Er hat für mich bezahlt. Ich war Gegenstand eines Vertrages zwischen ihm und meiner Mutter.
Aber eine Mutter tut so etwas nicht. Das können Mütter nicht.
Er hat mich mitgenommen zu seinen pädophilen Freunden. Er hat mir ein Playboyhäschen um den Hals gehängt und mich in einem Pädophilenring an Kunden verscherbelt. Ich war nichts außer einer Ware mit der sie gehandelt haben. Ich gehörte ihnen allen. Und nie mir selbst.
Doch diese Geschichte wollte niemand hören. Eine Mutter tut das nun mal nicht. Also kann es auch nicht wahr sein. Aber ganz bestimmt hat doch der Vater was getan. Der ist doch ohnehin so seltsam.
Ja, er ist seltsam. Selbst vom Krieg als Flüchtlingskind traumatisiert. In dieses Deutschland gekommen, fern der Heimat, immer sich selbst als vom Staat geduldet aber benachteiligt empfunden.
Er, der im kältesten Winter jede freie Minute damit verbrachte, für mich eine Rodelbahn in den Garten zu bauen. Nie vergaß, sie am Abend mit Wasser zu begießen, wenn in der Nacht Frost kam, damit sie auch am nächsten Tag toll glatt zum Rodeln war. Er, der mich in jeder Minute, die er hatte, von meiner Mutter weglotste, damit sie mich in Ruhe ließ. Er, der an keinem Tag vergaß, mir ein Stück seines Arbeitsbrotes mitzubringen, damit ich wenigstens dieses kleine Glück für mich alleine hatte.
Aber er ist eben ein Mann. Männer tun Kindern doch Gewalt an, nicht Frauen.
Und das hat er. Keine Frage. Leise und still. Und dennoch hat es tiefe Wunden hinterlassen. Er hat zugesehen wie sie mich verprügelt hat. Er hat mir nicht geholfen. Er hat mich in seinem Bett schlafen lassen und sich erregt an meinen kleinen Körper gedrückt.
Aber er hat mich nicht verkauft. Er hat mich nicht zu einer Ware gemacht. Nicht zu einem Gegenstand. Er hat mir nicht wehgetan. Nicht so wie andere es taten.
Für mich war normal was er tat. Denn er war meine Familie, in der das so und nicht anders war.
Aber das war es nicht, was die Damen und Herren Therapeuten hören wollten. Also sagte ich nichts davon. Man wusste, dass ich traumatisiert war. Und man konnte sich denken, dass es der Vater war, wer auch sonst.
Die Tatsache, dass es ein über mehrere Jahre andauerndes sexuell übergriffiges Verhalten einer Vaterfigur gab, als ich 12 war, reichte nicht wirklich, um die Folgen zu erklären. DIS entsteht nicht erst in der Pubertät. Und wenn man sich in einem sicher war, dann in dem Umstand, dass ich Viele bin. Daran hatte nur ich immer wieder meine Zweifel.
Und als es dann in der Therapie Erinnerungsfetzen gab, die gut in die Kreise eines rituellen Missbrauchs innerhalb eines Kultes passten, wurde sich darauf gestürzt. Damals, zu Beginn der 90er, ging man sehr davon aus, dass rituelle Gemeinschaften ursächlich für DIS seien. Es reichte aus, dass es scheinbare Ähnlichkeiten in den Handlungen gab, um die Erinnerungsfetzen in eine Schublade zu sortieren.
Ich wurde nie in einen Kult hineingeboren. Nie waren meine Eltern Mitglieder einer solchen Vereinigung.
Es war ein Kunde, der mich gekauft hat. Es war ein Mann, der mich noch dann für brauchbar hielt, als ich den anderen Kunden nicht mehr frisch genug war. Einer der gut bezahlen konnte. Was dort geschehen würde war egal. Nur überleben müsse das Kind. Das war die Bedingung. Aber das könne ja gut eingehalten werden, es seie ja ein Arzt zugegen. Einer der die Eltern auch gut kenne.
Ich war nur die Ware, die man benutzte.
Und es ging um nichts anderes als Sex und Macht. Alles andere war nur ein Nebenschauplatz. Sie deckelten ihre pädophilen Neigungen mit der Hülle eines rituellen Kultes. Es gab diese Menschen, es gab das, was dort geschehen ist. Doch sie waren es nicht, die ausgelöst haben, dass meine Seele zersplittert ist.
Es war die Gewalt, die ich in meiner Familie erlebt habe, fortwährend, vom Tag meiner Entstehung bis zu dem Tag, als ich den Kontakt beendet habe.
Und nun schreibe ich hier über all das. Teile Details über mein Leben mit. Und ich kann hören wie es in mir schreit.
Die Angst, zu viel zu zeigen.
Die Angst, verurteilt, in eine Schublade sortiert zu werden.
Als Faker geächtet zu werden.
Und ich spüre, wie mich das wütend macht. Als man mich als Multiple bezeichnete, habe ich mich dagegen gewehrt. Irgendwann fing ich an, mich damit auseinanderzusetzen, es zu glauben, zu verstehen. Doch all diese Menschen, die sich im weiten WWW tummeln und sich anmaßen, Urteil darüber sprechen zu dürfen, ob jemand ein Faker ist oder nicht, haben die alten Ängste ausgelöst. Wir beteiligten uns nicht mehr an Foren oder Plattformen für Multis.
Doch auch in der Welt der Blogger begegnen uns die Menschen wieder. Multis, die sich anmaßen, darüber urteilen zu können, ob andere echt sind oder nicht. Und sie merken nicht, wie sehr sie damit die gleiche Gewalt antun, die viele Betroffene aus Traumazeiten kennen. Sie grenzen sie aus, beschuldigen sie der Lüge, verurteilen sie. Und ich fürchte, viele tun das, weil sie selbst in sich die Unsicherheit fühlen, diese Zweifel, ob echt und glaubwürdig ist, was man fühlt und erinnert.
Aber denen gegenüber, die nur einfach etwas anderes erlebt habe und deshalb anders erscheinen, ist es Gewalt, die ihnen angetan wird, wenn man sie als Faker bezeichnet.
Ich finde es schlimm, dass es immer wieder dieses Thema gibt. Als wäre man in einem Konkurrenzkampf darum, wer echter ist. Geht es wirklich noch immer darum, besser sein zu wollen, in jeder Hinsicht?
Wenn jemand behauptet, dass er Viele ist, ohne es wirklich zu sein, und wenn der das auch weiß, dann wird es einen Grund geben, sich so zu verhalten. Es wird andere Schwierigkeiten geben, die diesen Menschen glauben lassen, es würde ihm besser gehen, wenn geglaubt würde, dass er viele ist.
In der Realität fliegt das sehr schnell auf, denn dissoziieren kann man nicht vorspielen, man kann auch keine Schockstarre oder Todesangst vorspielen. Und alles was eben noch ganz spezifische Traumafolgen sind. Das geht einfach nicht.
So, genug gewehrt für die Zweifler in uns. 😉
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