Alltags-Wahnsinn · Therapieerfahrungen

Agentur Traumazeitwelt


#wonderapp

Wortlos. Tonlos.

So war das, als ich ein Kind war. Etwa wie der Gesichtsausdruck des Kindes auf dem Bild, was von einer App erstellt wurde, um ängstliche Traurigkeit darzustellen. Trifft es das? Ich weiß es nicht. Denn ich kann sehr schwer Emotionen in Gesichtern erkennen. Für mich ist es ein Pokerface ohne jeden Ausdruck. Würden dort Tränen sichtbar sein, würde ich mutmaßen, dass es wohl um Angst oder Traurigkeit gehen wird.

„Lach doch mal“ und dann habe ich mühsam versucht meinen Mund zu einem Lächeln zu verziehen, während der Rest ausdruckslos blieb. Nur bedienen was verlangt und erwartet wird. Anpassungsleistung.

2,5 Jahre sind inzwischen vergangen, seit ich der Ärztin gegenübersaß, die mich zum ersten Mal sah und nicht verstehen konnte, warum zuvor niemand den Autismus bei mir bemerkt hat. Ich würde gerne behaupten, dass ich so gut angepasst war, dass man ihn nicht bemerken konnte. Doch das stimmt nicht. Anpassung hätte bedeutet, dass ich mehr getan hätte als immer nur zu lächeln. Ich fiel aus dem Rahmen, ich passte nicht.

Ich passte nicht in die Familie in der ich aufwuchs. Nicht in die Schule. Nicht zu den Nachbarskindern und auch nicht in die Familien aus dem sozialen Umfeld meiner Eltern. Ich war überall unpassend und falsch.

Später in Therapien erfolgte nichts anderes als eine beständige Wiederholung vom Falschsein. Und eine permanente Wiederholung von so tun als wäre ich passend. Mein Kopf versuchte aufzuschnappen wie die anderen sich verhielten und es ihnen gleichzutun. Er versuchte herauszufinden was erwartet wird und ich war bemüht genau das zu bedienen.

Ja klar, um keinen Ärger zu bekommen, um akzeptiert zu sein, um Anrecht zu haben und Berechtigung.

Nur geholfen hat all das leider nicht.

Es hat einzig bewirkt, dass ich meine Seele mehr und mehr zersplittert habe. Weg von dem was an mir nicht passt. Den Alien in mir wegsperren, ihn ausmerzen durch so tun als sei ich genau wie all die anderen.

Smalltalk führen, nach dem Befinden fragen, über das Wetter reden, Belanglosigkeiten austauschen. Und dabei mehr und mehr an Kraft verlieren, weil es viel zu sehr anstrengt. Mich fragen, warum nur strengt es offenbar all diese Leute nicht an. Und keine Antworten erhalten. Daraus den Schluss ziehen, dass etwas mit mir falsch sein muss, ich falsch empfinde, wenn es mich so erschöpft was allen anderen doch offensichtlich Kraft gibt. Ein ums andere Mal wieder einen Splitter meiner Seele dissoziiert. Einen für jede Leistung die verlangt wurde. Springen durch all die Schablonen, um die passende abzurufen. Auf Stichworte. Trigger. Gesten.

Fast 50 Jahre andauerndes Arrangement in der Firma „angepasstest Leben schaffen“, bis ich den Vertrag mit der DIS anzweifelte und ihn kündigte. Bis ich realisierte, dass mein Leben aufgebaut war auf Grundlagen, die nicht mein eigenes Leben sind. Es sind nicht meine Maßstäbe, nicht das was ich bin und sein will. Es ist das Leben eines Schauspielers, der immer nur bemüht war seine Rolle zur Zufriedenheit anderer zu spielen und sich selbst dabei eigentlich weder kannte noch finden konnte.

Ich habe den Vertrag gekündigt mit der Traumazeitagentur. Dieser Knebelvertrag, der mich verpflichtete Regeln zu erfüllen, die Menschen aufgestellt haben, die nur ein Ziel verfolgten. Nämlich mich und meinen Körper zu benutzen, um ihre eigenen Unzulänglichkeiten, rauszulassen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sich an mir zu sättigen. Deren Ziel war es ausschließlich, mich zu benutzen wie man einen Gegenstand benutzt. Meine Seele war dabei unwichtig. Die hatte mitzuspielen. Die hatte zu funktionieren.

Immer schön nach deren Regeln. Keine Grenzen setzen, nicht Nein sagen, nicht weinen, nichts ausplaudern. Runterschlucken, Klappe halten und immer schön freundlich lächeln. Keine Wut, keine Tränen, keine Angst zeigen. Alles schlucken, wegschieben, ausblenden. Mich anpassen. Immer wieder. An jede neue Szene, an jeden Täter und jede Situation. Auch dann noch als die Täter nicht mehr aktiv Teil meines Alltags waren. Ihre Regeln galten immer. In jedem Splitter meiner Seele, der dazu diente, sich an Traumaerleben anzupassen.

Da kann man nicht den Vertrag kündigen und einfach eben in der Agentur „Ich-Sein“ neu beginnen. So funktioniert das nicht. Die Splitter sind doch da. Die haben doch nichts anderes gelernt als all diese ollen, blöden Täterregeln. All den Mist, der nur den anderen diente.

Aber da kam die Autismusdiagnose. Das Feststellen, wie unrecht sie hatten in all den vielen Kliniken und Therapien, wo sie geschimpft haben und mich abgestempelt als hoffnungslos, übertherapiert, zu schwer traumatisiert.

Ihre Methoden waren schlicht nicht abgestimmt auf das was mein Gehirn verwerten und daraus lernen kann. Es gab nur sehr wenige Erfahrungen bei denen sogenannte Fachleute fähig waren mich zu sehen und etwas von dem was hinter dieser Fassade der Anpassung zu entdecken war.

Sie hatten mich gelehrt, dass all die Menschen, die mich gequält haben durch seelische Grausamkeiten, körperliche Folter, sexuelle Übergriffe, emotionalen Sadismus, berechtigt waren dies zu tun, weil ich schlicht falsch bin. Weil ich falsch bin und man mich umerziehen muss, damit ich passe.

Sie waren nicht besser. Nur anders. Perfider, weil sie sich hinter dem Decknamen Therapeut, Arzt, Helfer versteckten.

Immer wenn ich dachte, einer sei anders, dieser eine Mensch würde mich sehen und mir helfen, wirklich ich selbst zu werden und zu sein. Mir das Licht halten, während ich nach den unzähligen Splittern meiner Seele suche, um nur keinen zu übersehen. Denn ich wäre nicht ganz, es würde auch nur ein einziger Splitter fehlen. Es war vergebliche Hoffnung. Es unterschied sich nicht ein Einziger wirklich von den anderen. Auch nicht die, bei denen ich sehr lange blieb. Meine Verzweiflung war da nur größer und gleichzeitig der Wunsch danach, endlich einen Menschen gefunden zu haben, bei dem es anders werden kann.

Doch am Ende ging es bei egal wem doch immer nur um Anpassung an aufgestellte Regeln. Freundlich lächeln und die Regeln einhalten. Regeln wie „Kein Körperkontakt“, obwohl meine Seele daran verdurstet. Oder „die Stunde wird pünktlich beendet“, auch dann wenn gerade alles emotional so überflutet ist, dass ich es kaum noch die Treppe nach unten schaffe. „Keine Suizidgedanken, weil du keinen Grund hast“, ……….. egal wie ich mich fühle, egal was ich denke, egal wie sich in meinem Brustkorb der alte Schrei den Weg bahnt, gehört zu werden.

Sie zücken nur ihre Stempel und verurteilen mich.

Ganz gleich ob als Autistin oder Mensch mit DIS.

Ich bleibe das Ergebnis von jahrzehntelanger komplexer Traumatisierung und die Welt erwartet, dass ich nichts davon zeige. Ich habe mich anzupassen und anscheinend normal zu sein, ohne eine Ahnung, was Normal eigentlich sein soll. Und wo doch mein Gehirn gar nicht dieser Norm entspricht und sie nicht erreichen kann.

Oh, und ich vergaß zu erwähnen, dass man als Aussteiger auch in der Traumwelt nicht mehr willkommen ist. Denn AussteigerInnen scheinen den anderen zu gefährlich. Bedeutet es doch, dass man selbst zu versagen scheint……… und sie sind eben doch auch nur „normal“ und müssen die niedertrampeln, die etwas schaffen, woran sie selbst glauben zu scheitern.

Ist mir egal. Die Agentur „Ich-Sein“ bietet mir 365 Tage pro Jahr volles Recht auf Autonomie und absolut freie Zeiteinteilung. Ich arbeite so viel ich kann und mag. Darf mir Auszeiten nehmen wie ich sie brauche und auch mal alles in die Tonne treten, wenn sich etwas als blöd herausstellt. Ganz ohne dafür Ärger zu bekommen oder hinterfragt zu werden. Sie bietet den Rahmen in dem jeder Splitter meiner Seele seinen Platz finden darf und sich dort in der Weise einrichten kann, wie es sich richtig anfühlt. Und das alles mit der Zeit die es braucht.

Ich denke hier mag ich nicht kündigen.

Alle anderen Agenturen sind einfach nichts mehr für mich.

Und den kleinen Menschen auf dem Bild, den mag ich an die Hand nehmen und ihnen wissen lassen, dass er es nicht alleine schaffen muss.

Das Leben sollte kein Kampf gegen sich und andere sein, sondern eine Chance auf etwas ganz Eigenes.

Alltags-Wahnsinn · Gedanken zum Thema Trauma · Therapieerfahrungen

Bin ich viele?


Ein heikles Thema………..

Dissoziative Identitätsstörung, multiple Persönlichkeitsstörung, so lautet die offizielle Diagnose, die in meinen Unterlagen steht. Auch im Bescheid des OEG steht sie unter den aufgeführten Diagnosen. Endlich steht sie da auch, auch wenn sie im Anerkennungsbescheid noch immer „Persönlichkeitsstörung nach langjähriger Traumatisierung“ schreiben. Dennoch wissen sie, dass es eigentlich um DIS geht.

Der Gutachter schrieb vor zwei Jahren „eine Besserung durch die laufende, langjährige Psychotherapie wird aufgrund der Chronifizierung des schweren psychischen Gesamtleidenszustandes nicht für möglich gehalten,…..“. Ich muss hier sicher keinem erklären, warum er dennoch meinte, dass die Anerkennung mit einem GdS von 50 vom Hundert zutreffend sei. Die meisten Betroffenen wissen, dass Gutachter nicht wirklich zu begreifen sind in dem, was sie schreiben………….

Zum Glück war der Widerspruch meines Anwalts erfolgreich und somit wurde ich doch höher eingestuft.

Der Gutachtertermin hatte mir dennoch den Boden weggezogen.
Und das erste Ergebnis auch.
Nicht, weil sie meinen Antrag ablehnen wollten. Nein.
Weil ich mich dort emotional ausziehen musste und vollkommen unnötigerweise ausgefragt wurde über schmerzlichste Traumaerlebnisse aus der frühen Kindheit, obwohl ich bereits zu der Zeit seit 20 Jahren nach OEG anerkannt war. Ich hatte nur endlich gewagt zu beantragen, dass man mich entsprechend der Folgeschäden einstuft und nicht abspeist, als wäre es nur eine leichte Einschränkung.

Zu dem was heute an Folgen vorhanden ist, hat der gute Herr Mediziner nicht eine Frage gestellt…………..
Aber die Feststellung getroffen, dass ich derart beeinträchtigt bin, dass die Therapie keine Veränderung bringen wird.

Zwei Jahre ist das her.

Ich war an diesem Tag sehr froh, noch einen Termin mit meiner Thera zu haben, auch wenn ich die nicht wirklich spüren konnte. Dennoch war sie eben da. Und nur das war wichtig.

Und noch viel wichtiger war die Nachricht meines Anwalts auf meinem AB, der mich bat, so schwer es auch falle, alles zu notieren, was an dem Gutachtertermin nicht okay war und es mit aktuellem Datum zu unterschreiben……….letztendlich war es das, was die Widerspruchsstelle beim Versorgungsamt hat umdenken lassen.
Alles aufzuschreiben, es mir von der Seele zu schreiben. Sachlich, nüchtern, nur Fakten, als würde ich ein Protokoll anfertigen. Aber es war raus aus mir und steckte nicht mehr als Wut in mir fest.

Wir sind zwei Jahre weiter.

Ich spreche nur noch selten von wir. Ab und an noch in der Therapie.
Ohne Frage, jemand der sich auskennt, wird noch immer die feinen Grenzen zwischen dem einen und dem anderen Persönlichkeitsanteil bemerken.

Aber in mir hat sich etwas komplett verändert.

Ich sehe mich nicht mehr als Mensch mit vielen „Identitäten“, wie ich es früher tat.

Früher glaubte ich, ich sei dann nicht ich, wenn XYZ gerade vorne ist. Ich war überzeugt, dass es eine andere war, der die schlimmen Dinge passiert sind. Und es war auch eine andere, die aggressiv wurde, wenn ich mich bedroht fühlte. Und es war ein anderer, der den Körper verletzte………..

Und dann wurde alles anders.

Ich las ein Buch über DIS und spürte in mir, dass ich diese Getrenntheit nicht mehr will. Wann immer meine Thera „ihr“ anstatt „du“ sagte, sehnte ich herbei, dass sie mich als „du“ sieht. Als ein ganzer Mensch. So ganz wie sie ganz ist. Wenn mein Name auf einem Zettel von ihr stand, dann war der Zettel wie ein Schatz. Ich bin ein ganzes „Ich“.

Manchmal verliere ich kurze Momente der Zeit. Ich bin dann nicht gut mit meiner Aufmerksamkeit da. Passiert im Stress schon mal. Aber eigentlich bekomme ich alles mit und kann auf alles reagieren.
Ich blicke auf mich und sehe mich anders.

Sehe DIS anders und Dissoziation.

Flucht und Rückzug in mich selbst.

Weil mir zu sehr Angst machte, was real geschah.

Und später, weil mir zu sehr Angst machte, was ich erinnern könnte.

Unbewusst lief alles in Automatismen ab.

Wurde ein Thema zu brisant und kratzte an meinen Kindheitserinnerungen, war ich innerlich weg. Ich habe mich ausgeklinkt, um mich vor der Wucht der Emotion zu schützen.

Wollte ich mit einem Verhalten von mir nichts zu tun haben, war es besser, nichts davon zu wissen.

Gedanken, die vielleicht böse und unangebracht sind, gehören gar nicht zu mir.

Wünsche, die kindlich sind, können gar nicht meine sein.

Heute wechsle ich bewusst das Thema, wenn ich spüre, dass mir etwas zu viel wird.

Wenn ich traurig bin, entscheide ich bewusst, was dem Kind in mir gut tun könnte.

Und manchmal überspült es mich auch, weil ich zu spät merke in welche Richtung es geht. Dann schießen die Tränen hoch und für einen Moment vermischt sich das Kind von damals mit der Erwachsenen von heute. Bis ich meinen Zeh wieder ins Jetzt bekomme und vorsichtig wieder die Kleine in mir erreichen kann.

Einzig das sind noch die Momente in denen ich im Außen einen Menschen mit eigenem Körper brauche, um mich wieder ein wenig herauszubekommen aus der Traumazeit.

Aber wer genau bin denn nun „Ich“?

Die Summe aller einzelnen Teile.

Das ganze Puzzle.

Das komplette Bild.

Jede Facette in meiner Seele, mit jeder Erinnerung und jeder gefühlten Emotion.

Das alles bin ich.

Alltags-Wahnsinn · Therapieerfahrungen

vermeintliche Vermeidung


Im Kopf schwirren noch immer irgendwo die Worte der Amtsärztin als sie kurz vor Ende des Hilfeplangespräches meinte, dass auch ich sehr vermeiden würde. Vermutlich ein Klischee-Denken was sie da hat. Traumatisierte vermeiden. Doch Vermeidung ist nicht immer negativ einzuordnen und vor allem ist sie nicht immer das, was sie zu sein scheint.
Genau betrachtet geht es bei Vermeidung doch meistens darum, dass man etwas für gefährlich und bedrohlich hält. Ganz tief im Inneren meine ich. Nicht so offensichtlich, oft eher unbewusst.

Bei Menschen die ein Entwicklungstrauma erlitten haben. Bei Menschen, die ganz früh in ihrem Leben, als sie eigentlich angewiesen waren auf Erwachsene die sich liebevoll und fürsorglich kümmern, bereits auf sich allein gestellt waren, gibt es eine andere Vermeidung. Von außen betrachtet erscheint es als würde man sich weigern, Verantwortung für sich zu übernehmen, als würde man nicht selbständig werden und sein wollen. Schnell sind Helfer davon genervt und zücken den Stempel mit der Aufschrift „therapieresistent“. Sie stecken die Betroffenen in die Schublade „Vermeidungskünstler“. Dabei sind es die Helfer, die einmal mehr einfach nicht verstehen, nur vor den Kopf schauen und nicht in den Abgrund der Seele blicken.

Es sind diese Krisenmomente, in denen man jemanden anruft, weil man Hilfe benötigt, weil man es alleine gerade nicht mehr schafft. Und dann kommt die nette Frage danach, ob man denn schon Skills angewandt habe und welche man versucht hätte. „Skills“, das verhasste Wort. Wie oft haben wir den Satz gehört: „Wenden Sie mal Ihre Skills an!“. Wie oft, wenn wir wirklich Hilfe gebraucht hätten. Und man warf uns wieder und wieder nur auf uns zurück. Fragt man einen solchen Helfer nach den Beweggründen, bekommt man nicht selten die Erklärung, dass es doch wichtig sei, unabhängig von anderen sein zu wollen. Und sie merken nicht, wie sie mit ihrem Verhalten nur wiederholen, was der Betroffene bereits in frühester Kindheit erlebt hat. Sie bemerken nicht, wie sie wie früher die Bezugspersonen, auch heute als Bezugsperson etwas sagen wie „sieh zu wie du klarkommst, lass mich damit in Ruhe“. Und manch ein Betroffener reagiert daraufhin wie ein kleines Kind. Bockig, trotzig, selbstverletzend, suizidal, dissoziierend. Und in der Konsequenz reagiert der Helfer oftmals wütend.
Der Leser, der sich intensiv mit Traumawiederholungen befasst hat, wird erahnen, dass in diesem Ablauf etwas wiederholt wird, was hundertfach in der Kindheit erlebt wurde. Der Betroffene befindet sich in dieser Situation auf der emotionalen Ebene nicht im Hier und Jetzt. Es mag sein, dass erkannt wird, dass der Helfer ins Heute gehört, es mag auch sein, dass gewusst wird, dass man einen erwachsenen Körper hat. Doch Denken und Fühlen findet in diesem Moment aus der Traumazeit heraus statt. Es ist sozusagen eine Reinszenierung, die dort (unbeabsichtigt) stattfindet.
Von außen betrachtet erscheint das Verhalten der Betroffenen so, als wolle vermieden werden, sich um sich selbst zu kümmern. Und somit versucht der Helfer weiterhin alles, um den traumatisierten Menschen zur Selbstverantwortung zu bewegen. Und im Zweifelsfall endet alles im riesigen Frust, auf beiden Seiten. Der Helfer ist gefrustet darüber, dass der Betroffene keine Hilfe annehmen will. Und der traumatisierte Mensch fühlt sich abermals im Stich gelassen. Beide verstehen das Verhalten des jeweils anderen nicht.

Tauschen wir einmal den erwachsenen Menschen aus gegen ein Kind, sagen wir mal im Kleinkindalter. Würde man als Beobachter mitbekommen, wie ein solches Kind völlig verzweifelt zu einer erwachsenen Bezugsperson geht und diese dann das Kind mit den Worten abweist, dass es sich doch selbst beruhigen solle, käme wohl bei den meisten Wut auf. Wut auf den Erwachsenen, der sich nicht kümmert. Und Mitgefühl mit dem Kind, was so verzweifelt ist. Ich zumindest würde den Impuls spüren, das Kind trösten oder beruhigen zu wollen.
Und genau darin liegt die Crux.
Der Helfer sieht den anscheinend erwachsenen Menschen, mit dem er respektvoll auf einer erwachsenen Ebene umgeht. Die Tatsache, dass dieser Mensch gerade aber auf der erwachsenen Ebene gar nichts empfangen und verarbeiten kann, wird schlichtweg nicht bedacht, vielleicht auch wirklich nicht gewusst. Wobei ich mutmaße, dass viele vermeintliche Helfer das nicht wissen wollen, weil ein Mensch mit erwachsenem Körper auch ein Erwachsener zu sein hat.

Es war eine Szene wie ich sie bereits häufiger erlebt habe, seit ich mit professionellen Helfern zu tun habe. Innere Barrieren sind durchlässiger geworden, Anteile die immer gut voneinander abgegrenzt waren, rücken näher zueinander. Plötzlich fühlte ich mich völlig hilflos, fand mich auf dem Boden liegend in Embryohaltung, unstillbar weinend, nur noch mit dem Wunsch zu sterben, weil dieser Zustand in solchem Moment unüberwindbar erscheint. Nein, ich habe keine Skills angewandt. Ich habe es nicht mal versucht, weil es gar nicht möglich gewesen wäre. Selbst der Versuch, die Thera um Hilfe zu bitten scheiterte viele Male daran, dass die Bitte um Hilfe nicht erlaubt werden konnte. Jeder Versuch endete wieder damit, dass Worte gelöscht wurden, weil alle Worte nicht ausreichend Grund liefern würden, jetzt Hilfe zu brauchen. Am Ende stand da nur die Frage, ob ich anrufen dürfte. Denn selbst dafür braucht es die ausdrückliche Erlaubnis. Und wie schon in vielen anderen solcher Situationen, mit anderen Helfern, begann das folgende Telefonat so, als würden wir etwas besprechen wollen, was ganz belanglos ist und auch beim nächsten Termin hätte besprochen werden können. Und man wartete auf die Wut der Thera. Aber sie kam nicht. Sie lenkte geschickt um auf das, worum es eigentlich ging. Und wie wir es bereits von ihr kennen, kam die Frage danach, ob der innere Schmerz denn etwas kleiner gemacht werden dürfte und was man denn sonst vielleicht noch tun könnte. Alles war auf Abwehr. Nein, nein, nein, man will nicht alleine bleiben, will nicht weiter dort am Boden liegen und darauf warten, dass die Zeit vergeht. Und man will auch nicht wieder die Gefühle wegschieben, sich aufs Abstellgleis begeben, weil gerade keine Zeit und kein passender Ort da ist. Man will nicht weggeschickt werden. Und doch konnte ich auch nicht einfach das Angebot eines vorgezogenen Termins annehmen. Denn dann würde man ja kostbare Zeit bekommen. Und was wenn man die dann nicht nutzen kann, was wenn sie dann wütend darüber ist, dass es vielleicht gar nicht so schlimm geht wie man meint? Immer in der Angst, der andere wird wütend. Und immer in der Hilflosigkeit eines kleinen Kindes was eigentlich erwachsen sein sollte. Darf ich überhaupt so hilflos sein? Darf ich einen Menschen brauchen der einen Moment da ist? Und darf ich mich so denn zumuten?
Ich habe mich zugemutet. Ich habe mich getraut, das Angebot eines Termins anzunehmen. Und als ich hörte, wie sie sagte, dass es Erinnerungen sind. Als sie Worte sagte, die ausdrückten, dass es absolut richtig war, zu ihr zu kommen. Als ich begriff, dass ich in die Traumazeit gerutscht war und deshalb alles so unmöglich schien. Da war ich erleichtert, weil endlich nach all den vielen Jahren jemand verstanden hat, weil jemand in Worte fasste was ich nicht sprachlich hätte ausdrücken können.

Oft erscheint es Außenstehenden in solchen Momenten, als würde man vermeiden wollen, mit sich allein zu sein. Und sicherlich liegt darin auch etwas Wahres. Jedoch ist es eine vermeintliche Vermeidung. Denn schon als Kind wusste man, dass man einen Menschen braucht, der Trost gibt und Halt und die Sicherheit, dass alles gut werden wird. Doch man hat vergeblich darauf gehofft. Da kam niemand. Da wurde man zurückgewiesen, bestraft, alleingelassen. Es ist verständlich, dass man als Erwachsener noch immer nach dem hungert was schon als Kind fehlte und nie erfüllt wurde. Man will nicht vermeiden, den Schmerz zu fühlen. Es soll nur endlich jemand da sein, der einen hält, damit man sich sicher fühlen kann, wenn man zwischen Trauma-Zeit und Jetzt-Zeit zu zerfließen scheint. Und vor allem, damit das Kind von damals die Erfahrung machen kann, dass da heute jemand ist, der verlässlich da ist. Denn Heute ist es anders. Heute ist man nicht alleine. Aber das muss auch gespürt werden dürfen, um erkennen zu können, dass es wirklich wahr ist. Denn in solchen Momenten ist es ein traumatisiertes, kleine Kind im Körper eines Erwachsenen, was verzweifelt um sein Leben schreit. Dieses Kind kann sich nicht selbst beruhigen. Und auch die erwachsenen Anteile der traumatisierten Seele haben ja nie lernen dürfen, dass da jemand ist der Halt gibt. Wie sollten sie es können?

Es ging mir als Mensch (also mit allem was zu dieser Seele und diesem Körper und Geist gehört) an diesem Morgen, als ich die Thera um ein Telefonat bat, ganz unglaublich schlecht. Und es war ein riesiger innerer Kampf, zu erlauben, sie um Hilfe zu bitten, zu erlauben, zu ihr fahren zu dürfen, zu erlauben, dass sie dieses traumatisierte, kleine Kind erleben darf, diesem Kind zu gestatten, die Erfahrung machen zu dürfen, dass es heute einen Menschen gibt, der da ist, der ganz wirklich da ist. Es war alles enorm kraftraubend. Und dennoch blieb am Ende eine riesige Erleichterung. Denn mit dem Wissen darum, dass es eine Erinnerung war, mit dem Erleben der alten Gefühle im Wissen, dass es nicht jetzt geschieht, mit dem Verstehen, dass all das Empfinden aus einer längst überstandenen Zeit stammt, war es um vieles leichter, mit den Gefühlen einen Umgang zu finden.

Es war gut, dass ich es vermieden habe, alleine zu bleiben.
Ich habe erlaubt, um Hilfe zu bitten, obwohl ich Angst vor Zurückweisung hatte. Für mich ist das ein äußerst mutiger Schritt, der weit weg ist von Vermeidung. Aus meiner Sicht ist es nicht mutig, schlimmste Gefühlszustände auszuhalten, sie zu ertragen. Mutig ist es, Wege finden zu wollen, wie man sie anschauen kann, ohne dabei von der Traumazeit verschluckt zu werden.

Skills sind wahre Vermeidung, wenn auch gezielt eingesetzt oft das beste Mittel, um schwierige Zeiten zu überstehen. Das mag jeder für sich definieren wie es passt. Für mich ist es so. Ich will nicht lernen, meine Gefühle wegzumachen. Das habe ich immer getan.

Ich will endlich fühlen dürfen!

Alltags-Wahnsinn · Therapieerfahrungen

au revoir


Wieder einmal sind wir in alle Extreme der Nähe-Distanz-Konflikte gesprungen. Haben alle Muster abgespult die wir irgendwann vor langer Zeit gelernt und verinnerlicht haben. Haltlos umherschwirrend an allem festkrallend was vertraut ist. In fester Überzeugung, dass am Ende doch nichts bleibt als schutzloses weggestoßen werden. Immer wieder streifen sie sich die gedanklichen Kostüme über in denen jeder abspult was er einst gelernt hat. Jede Drohung die man erlebt hat wird reinszeniert, Jede Gegenleistung angeboten, ja aufgedrängt. Jeder mit tiefster Überzeugung, dass real ist was erlebt und gefühlt wird. Niemand mit Bezug zu dem wirklichen Anlass. Wir spinnen ein Netz aus erbitterten Kampffäden, die immer doch den scheinbaren Gegner erahnen lassen, dass man ihn auf Abstand bringen will. Ja, ihn dazu bringen will, einen schwerwiegenden Fehler zu machen. Der eigentliche Kampf findet in tiefsten Schichten statt, zu denen es keinen greifbaren Zugang gibt. Wir strampeln innerlich, kämpfen, rennen schreien. Spulen alt einstudierte Szenen ab, immer wieder. Suchen nach Halt und fahren doch die Krallen aus. Bieten den Körper an, das einzige Mittel mit dem man immer wieder gewollt war, wenn auch nicht in Liebe gehalten.

Die Hand, die die ganze Zeit haltend auf unserem Rücken ruht. Wir bemerken sie nicht. Die Worte, die an unser Ohr dringen und ein „ich bin bei dir“ sagen, sie können nicht geglaubt werden.

Die Szenerie findet ihr jähes Ende darin, wenn die Hand sich vom Rücken löst und die Worte kommen, die schon so oft gesprochen worden. Worte die mich wegschicken, mich auf Abstand bringen, mich alleine lassen. Von Pause, von anderen die vielleicht besser helfen können, einem anderen Ort den man brauchen könnte, ist die Rede. Wir haben es provoziert, wir selbst sind schuldig wie wir immer schuldig waren, wenn die Mutter uns mit dem Heim gedroht hat. Und nein, es war kein gewöhnliches Kinderheim, wie uns allen inzwischen klar ist. Der Körper kam im Jahre 1973 auf die Welt. Zu dieser Zeit gab es noch viele weitere Jahre in Deutschland sogenannte Erziehungsheime, in denen Kinder und Jugendliche sozusagen „gezüchtigt“ werden sollten. In der Vorstellung der Mutter würde man mir dort Benehmen beibringen. Man würde mir zeigen wer das Sagen hat.

Noch immer tobt das Schuldgefühl in mir, noch immer gibt es einen Winkel in dem man Überzeugt ist, sie provoziert zu haben. So wie man immer wieder provoziert, dass man weggestoßen und alleingelassen wird.

Dabei suchen wir so verzweifelt nach dem Halt, der ja doch nicht gespürt werden kann, weil doch die innere Not viel zu groß erscheint.

So türmt es sich auf, steigert sich immer weiter. Niemand scheint zu wissen was der Ursprung ist. Niemand hat ein Gefühl dafür, was nötig ist, um die Abläufe zu ändern. Die Szenerie ist gekippt. Es sind die androhenden Worte ins Ohr gedrungen. Und wie als Kind gelernt wird gefleht, da zu bleiben, mich nicht wegzuschicken, mich nicht loszulassen. Innerlich wird versprochen jetzt auch wieder lieb zu sein, wenn man nur bitte bleiben darf.
Ausgestanden ist sie noch lange nicht, die Wiederholung.
Wir klammern uns an, wollen nur alles richtig machen, nur sicher sein, dass wir nicht abgeschüttelt werden. Aus tiefsten Tiefen dringen seltsame Gefühle an die Oberfläche, Geräusche sind vernehmbar, die doch nicht real sein können. Ein unwirklich komische Stimmung, die mich verschluckt. Sie spuckt mich aus auf einem gefühlt hartem Stuhl, der mich fesselt und zwingt, Beobachterin einer Darstellung zu werden die die Sprache verschlägt und tonlose Tränen über die Wangen laufen lässt.

Erst als ich die Augen öffne, erst als ich das vertraute Gesicht vor mir erblicke, erst als ich schützende Arme um mich fühlen und tröstend streichelnde Hände auf meiner Haut spüren kann. Erst als nicht aussprechbare Gedanken sich in einem Satz entladen. „ICH war doch noch so verdammt klein!“ Erst in diesem Moment konnte ich ankommen in der Jetzt-Zeit, in der Haltlosigkeit die ich als Kind eingefroren habe. Erst da konnte ich spüren, dass da ein Mensch ist, der mich schützend in seinen Armen hält. Erst da habe ich ahnen können, dass die Menschen, die mich hätten beschützen sollen und doch ausgeliefert haben, heute nicht mehr aktiv in meinem Leben sind.

Und auf der Fahrt im Auto dringt es ins Ohr:

    Es gibt nichts, was mich hält, au revoir.
    Vergesst, wer ich war.
    Vergesst meinen Nam‘.
    Es wird nie mehr sein, wie es war.
    Ich bin weg, au au
    au revoir.

Und ich schreie es aus den tiefsten Tiefen meiner Seele heraus. Sie sollen vergessen wer ich war. Sie sollen meinen Namen aus ihrem Gedächtnis löschen. Denn ich will nicht mehr in ihrem Leben sein. Ich will nicht mehr ein Teil dieser Familie sein, ein Teil der Gesellschaft sein, die ein schutzloses Kind als Lustobjekt benutzt.

ICH war doch noch so verdammt klein!!!!!!!!!!

Ich brülle es ihnen in meinen Gedanken entgegen:

    Au revoir.
    Auf nimmer Wiedersehen.
    Ich leb ab jetzt mein eigenes Leben.
    Da ist kein Platz für eine Mutter die ihr Kind ausliefert,
    kein Platz für einen Vater der nicht beschützt.
    Au revoir.
    Lasst mich in Ruh.
    Vergesst meinen alten Namen,
    er existiert ohnehin nicht mehr.
    Vergesst, dass es ihn jemals gab.
    Löscht mich aus der Erinnerung,
    denn ich will nicht ein Teil von euch sein.

Und schützend schließe ich die Kleine von damals in meine Arme und nehme sie mit in die Freiheit.

Therapieerfahrungen

irgendwann muss es doch auch mal gut sein


Es war auch Juni, als ich vor 21 Jahren zum ersten Mal in meinem Leben eine Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch betrat. 21 Jahre. Damals hatte ich nicht im Geringsten eine Ahnung, was die kommenden Jahre mit sich bringen würden. Ich glaube es war nicht mal eine bewusste Entscheidung, überhaupt dort die Räumlichkeiten zu betreten. Es war ein unbedachter Satz auf der Arbeitsstelle, beim zwanglosen Beisammensein unter Kolleginnen an einem Freitag nach Dienstschluss. Der Chef hatte eine Flasche Fürst von Metternich spendiert. Wo ich doch Alkohol noch nie so gut vertragen habe. Es ging um einen Patienten, drogenabhängig, HIV-positiv. Er sollte in die Klinik, landete dort nicht. Man verstand nicht, nicht warum er lieber erst noch den nächsten Schuss haben wollte, nicht warum er überhaupt Drogen nahm. Nur ein Grund schien zu berechtigen, sich zuzudröhnen – wenn man in der Familie sexuell missbraucht wird. Irgendwie kam dieser fatale Satz über meine Lippen, dass ich doch auch keine Drogen nehmen würde, obwohl mein Bruder das getan hat. Ich kann sie noch spüren, die in sich erstarrten Blicke, die sich plötzlich auf mich richteten. Die abrupte Stille, wo ich vorher nicht mal Lärm wahrgenommen hatte. Und dann fielen sie über mich her. Löcherten mich mit Fragen, bedrängten mich, Hilfe zu suchen, wollten umgehend mit mir bei ProFamilia anrufen. Zum Glück erreichten sie dort niemanden mehr. Es war ein Artikel in der Wochenendzeitung. Eine Selbsthilfegruppe für Inzestopfer würde beginnen. Ich bat ernsthaft meine Mutter, dort für mich anzurufen. Und, ganz ehrlich, ich glaube sie hat nicht begriffen um was es da geht. Egal, sie rief an und ich ging auch brav hin. Knallte alles was ich damals von meiner Geschichte wusste den Leuten vor die Füße und verschwand im Nichts. Dumm nur, dass man sich dort auskannte. Und so folgte einige Wochen später ein Anruf und man bot mir Einzelgespräche an.

21 Jahre. Eine Odyssee die damals begann. Von der Beratungsstelle in eine ambulante Therapie, dann stationär, wieder ambulant und wieder stationär, die nächste Beratungsstelle und die x-te Klinik. Es zog sich über die Jahre. Irgendwann war es November 2010 und wir hatten gut 15 Jahre verschiedentliche ambulante Therapien und nochmal insgesamt weitere rund 15 Monaten mit diversen stationären Aufenthalten zugebracht. Dabei hatte ich noch darüber gegrinst, als man mir vor 20 Jahren in der Rehastelle des Arbeitsamtes sagte, dass ich die nächsten 10 Jahre nicht über Ausbildung und Arbeit nachdenken solle. Es sind 21 Jahre. Inzwischen erwartet man nicht mehr, dass ich arbeitsfähig bin oder werde. Man hat mich ausgesteuert, führt nicht mal mehr eine Akte.

Man hat mich aufgegeben, so ganz offiziell. Aus der Gesellschaft herausgeworfen. Bin nicht integrierbar. Ich habe bei der Suche nach Therapieplätzen nicht nur einmal gehört, dass es doch auch mal gut sein müsse, wenn ich schon so viel Therapie hatte. Und auch, dass man doch auch nichts anders oder besser machen könne als die Kollegen zuvor. Man lehnte mich ab, weil es doch auch mal reichen müsse. Man betitelte mich mit ÜBERTHERAPIERT und wollte nichts anderes sagen als „der ist nicht zu helfen“.
Man fragte nicht danach was ich brauche.
Niemand wollte herausfinden wie es anders gehen kann. Anders als es alle gemacht haben.
Sie hatten ihre Vorgaben und Methoden, hatten Erkenntnisse in die sie mich pressten und waren wütend wenn ich nicht passte.
Die einen wollten schnelle Erfolge, die anderen hielten es für lebensgefährlich, mit mir Aufarbeitung zu machen. Man verachtete die, die es dennoch versuchten.
Niemand hat danach gefragt, warum es nicht passt. Niemand wollte verstehen was anders sein müsste, damit es besser werden kann.

Ich habe aufgegeben, im November 2010. Ich war es leid, dem x-ten Therapeuten wieder nicht vertrauen zu können, der nächsten Therapeutin wieder nur Oberflächliches erzählen zu können. Ich glaubte denen, die sagten, dass mir nicht zu helfen sei. Ich hatte einfach kein Bock mehr auf diesen ganzen Mist der mich doch nicht weiterbringt. Ich hatte die Schnauze sowas von voll von all den Therapeuten und sogenannten Fachärzten, in deren Augen ich die Gestörte, die Kranke bin, die der ja doch nicht zu helfen sei.
Ich hatte keine Ahnung, warum es so lief. Irgendwie passte ich nicht in das Schema der Kostenträger. Nicht in das für Psychotherapien und auch nicht in das für ambulante Betreuungen. Irgendwie bin ich falsch, das war die einzige Erklärung die ich dafür hatte. Etwas mit mir stimmt nicht, irgendwie kriege ich was nicht hin. Und ganz klar kann es nur sein, dass es an mir liegt und meine alleinige Schuld ist.

Denn irgendwann muss es doch auch mal gut sein.

Ich war absolut entschlossen, niemals wieder eine Therapeutin zu kontaktieren. Ganz absolut entschieden.

Wie gut, dass mein Leben andere Wege nahm.

Gut zwei Jahre ist es her, dass mein Leben anfing, sich zu verändern. Manch einer wird wissen, dass ich damals meiner Therapeutin begegnet bin. Es ist im Grunde mit Worte kaum auszudrücken, wie sehr es mir gut tut, auf sie getroffen zu sein. Und man mag sich fragen, was es ist, warum plötzlich alles geht was so viele Jahre zuvor nicht möglich war. Man mag schnell dabei sein, es zu erklären. Ganz sicher hat es zuvor nie so gut gepasst, rein menschlich. Und ganz bestimmt war einfach nur die Zeit nicht reif. Oder es ist eine ganz besondere Therapiemethode, die sie anwendet.

Ja, es hat wirklich zuvor nie so gut gepasst, rein menschlich, aber auch von der Therapiemethode her. Und ja, vielleicht war ich auch nicht bereit. Nein, sogar ganz sicher war ich nicht bereit, zuvor in all den Jahren bei all den „Fachleuten“ die mir Stempel mit den Namen GESTÖRT, KRANK und ÜBERTHERAPIERT aufdrückten.

Als ich kürzlich diesen Artikel über Gestalttherapie las, kullerten dicke Tränen über meine Wangen.

……………
Kontaktstörungen sind Be-Grenzungen.
Eigentlich vorhandene Möglichkeiten werden eingeschränkt. Das geschieht unbewusst. Kompensationsversuche laufen daher ins Leere oder verstärken die unbewussten Muster. Mangel kann nicht befriedigend ausgeglichen werden. Der Hunger bleibt.
Gestalttherapie anerkennt Kontaktstörungen als kreative Leistung der Seele, schwierigen Lebensumständen zu begegnen.
Wird ein Kind hineingeboren in ein Umfeld, dass beispielsweise alles Andersartige ablehnt, wird es sich anpassen müssen, um überleben zu können.
Konfluenz (sich nicht von der Umgebung unterscheiden) ist dann die beste Option, die gewählt werden kann.
Die Forderung „sei wie wir“ wird unverdaut „geschluckt“ (Introjektion) und kann sich später als Projektion nach außen auf andere Menschen richten mit dem Empfinden, die anderen würden das von einem verlangen.
Wohin mit der Wut, wenn Wut bzw. der Ausdruck von Wut in der Familie als moralisch schlecht bewertet oder bestraft wird?
Aggression kann als Retroflektion nach innen gerichtet werden, indem sich ein negatives Selbstbild entwickelt („ich bin böse/unfähig“) oder in Form mangelnder Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen („ich kann doch nichts dafür“).
Deflektion kann sich zeigen, indem man sich Bedürfnisbefriedigung versagt oder in der Unfähigkeit, zu verzichten.
Gestalttherapie unterstützt die Bewusstwerdung dieser inneren Prozesse.
Die bewusste Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und Empfindungen, deren Akzeptanz und Wertschätzung ist die Basis für ein freies und selbstbestimmtes Leben, in dem Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung realistisch eingeschätzt, abgewogen, ausgewählt und realisiert werden können.
Negative Glaubenssätze können identifiziert werden als etwas, das “unbesehen einverleibt” wurde. Es kann überprüft werden, ob alte Glaubenssätze heute noch Bestand haben sollen oder an die aktuelle Lebenssituation angepasst werden können.
Noch nicht verarbeitete Konflikte können bearbeitet und seelische Verletzungen (unfinished business, offene Gestalten) können auf den Weg der Heilung gebracht werden.
Kontakt ist die Verbindungsstelle zwischen dem Ich und dem Du, dem Selbst und der Umwelt, zwischen Körper, Seele und Geist.
Kontaktstörungen können als ehemals notwendige Anpassungsleistung eines Kindes erkannt und anerkannt werden.
Eines Kindes, das in einer nicht ausreichend unterstützenden Umgebung die beste Option wählte, die es hatte: den Kontakt zu unterbrechen zu seelischen Überforderungen im Außen (Bindungspersonen, Lebensumstände) wie im Innen (überwältigende Gefühle, nicht gestillte Bedürfnisse)………………………………..

Einige Zeilen eines eigentlich recht sachlichen Textes, die mich zutiefst berührt haben. Berührt, weil sie so sehr ausdrücken was ich empfinde, weil diese Worte in all den vielen Jahren niemand gesagt hat. Niemand hat mir gesagt, dass ich die beste Option gewählt habe, die ich hatte. Niemand wollte sehen, dass ich überfordert war mit dem Außen und dem Innen. Niemand hat mir gesagt, dass ich okay bin.

Es ist nicht die Methode der Gestalttherapie, die es ausmacht, dass ich mich öffnen kann. Es kommen ganz sicher viele Faktoren zusammen, warum jetzt möglich ist, was zuvor ausgeschlossen erschien.

Irgendwo habe ich einmal die Aussage gelesen, dass Gestalttherapie mehr ist als nur eine Methode, es ist eine Grundhaltung zum Leben. Und das trifft es. Man geht nicht davon aus, dass ich krank bin. Es wird anerkannt, dass meine Seele unglaubliches geleistet hat, um zu überleben. Man muss mich nicht anpassen und verbiegen, presst mich nicht in Schubladen.

Ich darf einfach sein.
Als eine zersplitterte Seele die das Überleben in einem unmenschlichen Umfeld geschafft hat.
Ich muss keine Imaginationsübungen machen, wenn sie gar nicht hilfreich sind. Muss keine Atemtechniken lernen die unsagbare Angst machen. Ich alleine darf wählen, was ich ausprobieren, was ich behalten, was ich loswerden will. Es ist mein Lebens-Weg, auf dem ich nach der Hand meiner Therapeutin greife und sie bitte bei mir zu sein. Ich gestatte ihr den Einblick in meine Seele. Ich alleine entscheide darüber wieviel wann sein darf und wann es einfach reicht. Ich allein schreibe das Drehbuch meines Lebens. Denn es ist einzig MEIN Leben.

Ich wollte mich nicht von neuen „Tätern“ in Form von Helfern manipulieren, fremdsteuern und bestimmen lassen. Und ich habe mich so gut es ging geschützt, indem ich meine Seele vor ihnen verschlossen habe.

Der Therapeutin, die mir mit Respekt begegnet, die mich wertschätzt und achtet, für die ich niemand anders sein muss, um gemocht zu werden, gewähre ich Zugang in die tiefsten Abgründe meiner Seele. Denn ich weiß, dass sie auch dort mit Respekt und Achtung auf das schauen wird, was ich bereit bin ihr zu zeigen.

Manchmal passt man einfach nicht in die Vorgaben von Institutionen und Behörden. Man hat die Wahl, sich hineinzupressen oder um seinen Weg zu kämpfen.

Ich habe gekämpft, für meinen Weg.

Für mein Leben in Freiheit.

Gedanken zum Thema Trauma · Therapieerfahrungen

Flirt mit dem Tod


Bewusst wähle ich diesen so deutlichen Titel. Ein weiteres Thema, das mit einem öffentlichen Tabu belegt ist. Und wie manche von euch wissen, mag ich es nicht, wenn über Themen geschwiegen wird, die benannt werden sollten. Ich mag nicht mehr schweigen und vermeiden. Und in diesem Zusammenhang möchte ich vorweg kurz ein wichtiges Thema ansprechen.

Trigger
Was genau bedeutet das eigentlich? Was passiert da und wodurch wird das ausgelöst und warum wird manchmal vor möglichen Triggern gewarnt. Trigger heißt nichts anderes als Auslöser. Insider benennen damit etwas was Flashbacks oder Intrusionen auslöst. Manchmal ist es hilfreich, wenn man als Betroffener auf eine solche Trigger-Warnung trifft, weil man sich innerlich besser darauf einstellt, wenn man den nachfolgenden Text liest. Bei Artikeln in denen Details aus traumatischen Situationen, Einzelheiten einer Gewalterfahrung oder auch inhaltlich detailliert beschriebene sexuelle Szenen auftauchen, halte ich es für absolut sinnvoll vorweg anzukündigen, dass der Text mit Vorsicht zu lesen ist.
Jedoch begegnen uns gehäuft Betroffene, die Themen als Trigger benennen, die heftige Emotionen auslösen. Und hierzu beziehe ich eine ganz klare Position. Es bringt nichts, den Kontakt mit dem eigenen Fühlen zu vermeiden. Es gibt schmerzliche Empfindungen, es gibt Themen, die unsere Sehnsüchte berühren und unsere Trauer, andere machen wütend und wieder andere nachdenklich. Wenn wir uns nicht berühren lassen, bekommen wir auch keinen Zugang zu den Gefühlen die wir in uns eingefroren haben. Und wir können sie nicht auftauen lassen und nicht kennenlernen wie es ist, wenn sie nicht mehr mit Wucht hochschießen. Es gibt Zeiten, in denen man übervoll ist mit eigenem inneren Schmerz und sehr sorgsam damit umgehen sollte, was man sich noch zusätzlich von außen antut. In diesen Zeiten wird hier kein Blog von Betroffenen gelesen, es werden überhaupt keine Texte gelesen, die sich irgendwie mit Traumafolgen befassen. Denn alleine die Beschäftigung mit dem Thema könnte noch etwas hochschießen lassen und damit die Situation für uns zum eskalieren bringen. Spricht wir würden unsere Gefühle nicht mehr aushalten. Und dann folgt er unweigerlich,

der Flirt mit dem Tod.

Suizidalität ist eine häufige Folge von Gewalterfahrung in der Kindheit. Oft wird im Zusammenhang mit Menschen die unter komplexen Traumafolgen leiden auch von chronischer Suizidalität gesprochen. Eine Todessehnsucht die unterschwellig permanent da zu sein scheint. Die immer wieder hell aufflackert und dann wieder in den Hintergrund rückt. Nicht selten machen Betroffene gehäuft die Erfahrung, dass das Aussprechen der Suizidgedanken abgetan wird als Suche nach Aufmerksamkeit und sie mit ihrer inneren Not alleine bleiben. Wieder andere erleben wie umgehend Macht auf sie ausgeübt und sie fremdbestimmt werden, weil man sie einweisen lässt, was oftmals gegen ihren Willen geschieht, auch dann wenn sie einer Aufnahme in der Psychiatrie zustimmen. Viele empfinden sich als ausgeliefert und machtlos. Sie wünschen sich Hilfe und werden abgewiesen. Denn nichts anderes ist es, wenn man sie einweisen lässt.

Die Psychiatrie, ich will sie nicht schlechter darstellen, als sie ist. Sie ist ein Ort, der Menschen Schutz bieten kann. Ein Ort, der Menschen eine gute Behandlungsmöglichkeit bietet, die für sich oder andere eine Gefahr darstellen oder auch schlichtweg der Realität entglitten sind. Dieses trifft auf Menschen die eine zersplitterte Seele in sich bergen so nicht zu. Und es trifft auch auf viele andere, die Betroffene von Gewalterfahrungen in der Kindheit sind, nicht zu.

Nach meiner Erfahrung gibt es sozusagen zwei große Unterschiede innerhalb des Themas Suizidalität. Nun kann ich hierbei natürlich immer nur von dem ausgehen, was ich als Mensch, also inklusive aller anderen Anteile, erlebe und was wir im Kontakt mit anderen erlebt haben und heute erleben. Es ist nichts, was wissenschaftlich belegbar ist oder wir irgendwie angelesen hätten.
Nach unserer Erfahrung gibt es sozusagen zwei Lager, im Grunde drei, wobei ich das Dritte gerne weniger thematisieren würde. Es gibt diejenigen, die als Folge der Traumatisierung in einer so tiefen inneren Not stecken, dass sie permanent nach Hilfe rufen, wie ein kleines Kind, das alleingelassen ist. Sie verzweifeln daran, dass da niemand ist, der sich um sie kümmert, der sie hält, der auf sie aufpasst, sie beschützt. Beschützt auch und vor allem vor dem was in ihnen an alten Gefühlen eingefroren ist. Sie haben Angst vor sich. Diese Menschen sind ohne Frage in dieser Verfassung enorm anstrengend und scheinen auch recht widerstandsfähig gegen jede Hilfe zu sein. Die Welt ist schwarz und nichts kann sie hell machen, gar nichts. Und niemand kann mir helfen, weil niemand auslöschen kann was da in mir ist und mich niemand vor dem Monster der Erinnerung beschützen kann. Und ich selbst kann das auch nicht. Gerne begegnen gerade HelferInnen in psychiatrischen Kliniken diesem Klientel mit Aussagen die ähnlich klingen wie: „Die will ja gar nicht, dass es besser wird.“ Sie reagieren genervt und signalisieren dem betroffenen Menschen, dass er sich nicht so anstellen soll.
Zurück zu dem Vergleich mit dem kleinen Kind, das alleingelassen ist. Dieses Kind, schreit und weint, dass jemand kommen soll. Es tut das eine ganze Weile, bis es merkt, dass da niemand kommt. Irgendwann verfällt es in Resignation und verstummt. Nun denkt so manch ein Erwachsener das Kind habe sich beruhigt. Es ist ein Trugschluss. Das Kind hat die Hoffnung aufgegeben, es kämpft nicht mehr darum, gehört zu werden, irgendwann erwartet es nicht mal mehr, dass überhaupt jemand kommt. So ist es auch mit diesem Erwachsenen. Anfangs hofft er noch darauf, dass jemand ihn hört, da ist, mit ihm aushält, bleibt, bis es irgendwann besser wird und man wieder eine Weile gut alleine aushalten kann. Und bis die Welt nicht mehr nur dunkel scheint. Doch irgendwann hört er auf zu Hoffen, wagt er nicht mehr etwas zu sagen, weil er gelernt hat, dass er alleingelassen wird, abgeschoben, weggesperrt in seiner Hilflosigkeit. Kein Medikament der Welt, keine Fixierungen, kein Wegsperren löschen diesen Schmerz im Innern aus. Nichts von all dem was sogenannte Helfer diesen Menschen antun kann ihnen wirkliche Hilfe sein.

In dem zweiten Lager sind Menschen zu finden, die keinen Ausweg sehen aus einer Situation die hier heute ganz real ist. Sie haben einen riesigen Berg Schulden, leiden unter Süchten, Zwängen, befinden sich in Beziehungen die von Gewalt und Demütigung geprägt sind. Sie wissen sich keinen Rat wie sie da rauskommen können. In all ihrer Not sprechen sie es aus, sagen, dass sie keinen Ausweg wissen, so nicht mehr leben wollen. Für manche von ihnen ist es hilfreich, an einen solch beschützenden Ort zu kommen wie eine psychiatrische Klinik ihn bietet. Denn oftmals ist es schon erleichternd, die Belastung im Alltag nicht mehr zu haben. Rauszukommen aus dem Berg der auf einem lastet. Viele können mit Distanz Wege finden die rausführen aus all dem. Sie können wieder mehr und mehr Hoffnung schöpfen. Sie haben ein Ziel vor Augen, sie wollen wieder so ein Leben wie sie es vorher hatten. Bei manch einem mischt sich da aber auch etwas. Sie glauben es sei besser, wenn nur dieses eine Problem gelöst ist. Und dann fallen sie doch wieder in ein Loch, weil plötzlich ein anderes Problem sichtbar wird. Dann erscheinen auch sie so als würde nichts helfen können. Jedoch scheint das nur so, weil sie immer wieder eine Schleife drehen. Doch wie auf einer Spirale wandern sie mit jeder Umdrehung ein kleines Stück höher, manchmal so wenig, dass es kaum merkbar ist, dann wieder so viel, dass es wie eine Erlösung scheint.

Ein kurzer Blick auf die im dritten Lager. Jene Menschen, die wirkliche Gründe haben, ihr Leben beenden zu wollen. Gründe, für die keine Lösungen zu finden sind, weil es sie einfach nicht gibt. Menschen die an unheilbaren Krankheiten leiden, deren Tod absehbar ist und denen nichts bleibt als ihrem Tod entgegenzugehen oder auf ihn zu warten. Ich kann und will auf diese Umstände hier nicht eingehen, weil sie einfach nicht auf Menschen zutreffen, die unter Traumafolgestörungen leiden. Zumindest treffen sie nicht vordergründig auf sie zu.

Bei Menschen mit zersplitterter Seele finden sich meist sowohl Anteile der 1. Kategorie als auch jene der 2. Wobei der Hintergrund immer der aus der 1. Kategorie bleibt. Es geht um Angst, um nichts als Angst, Angst und nochmals Angst. Und es geht darum, dass einem gefühlt bereits das Leben genommen wurde, damals, als der Körper klein und wehrlos war, als man zum ersten Mal erlebt hat wie es ist, wenn man sich nichts als den Tod wünscht. Dieser Moment war so überwältigend, so einprägsam, dass er alles unerschrocken zu überdauern scheint. Tief in einem drin bleibt die Entscheidung im Zweifel für den Tod und gegen das Leben.

Ich erinnere mich an eine Gegebenheit, die viele Jahre zurückliegt. Damals haben wir nur selten konkret darüber gesprochen wie tief dieser Todeswunsch verankert ist. Wir hatten eine neue Therapie begonnen, es muss noch recht frisch gewesen sein. Damals ging die Meldung durch die Medien von einem Mädchen, dem von einem Unbekannten sexuelle Gewalt angetan worden ist und der sie anschließend versucht hat zu ertränken. Dieses Mädchen hat körperlich überlebt und lag nach dem Verbrechen was an ihr begannen worden ist im Koma. Als die Thera sagte, wie gut es sei, dass man das Mädchen gefunden habe und sie lebe, entwich uns zum ersten Mal eine klare Haltung zum Thema Leben und Tod nach Gewalterfahrung. „Es wäre für sie besser gewesen, sie wäre gestorben!“ entwich es uns. Lieber tot sein als mit dem Leben danach bestraft zu sein.
Wir haben uns den Tod gewünscht und unsere Wahl hätten wir immer wieder gegen das Leben getroffen. Denn Leben war immer gleichbedeutend mit Qual und Einsamkeit.

Gehen wir zurück zu dem kleinen Kind von einst und dem Umgang der HelferInnen mit dem Erwachsenen, suizidgefährdeten, dem in der Kindheit schlimmste Gewalt angetan worden ist. Dieses Kind hat auch damals um Hilfe gerufen, auf verschiedentliche Weise, laut und leise, manchmal schweigend, manchmal laut aufschreiend. Doch es blieb allein, immer. Es hat gelernt, die Kraft lieber zu nutzen, um den sicheren Tod zu erreichen, denn im Leben bleibt ja doch nur die Einsamkeit. Und diese Erfahrung findet jedes Mal wieder Bestätigung, wenn der nächste Helfer ihn einweisen lässt und die nächste Helferin alles als Suche nach Aufmerksamkeit abtut.

Ich möchte etwas mit euch teilen, eine Erfahrung die wir machen, einen Weg, den wir gefunden haben und gehen, wenn auch mit Knien die wie Wackelpudding zittern. Wir sind so ein Fall. Man nannte uns chronisch suizidal, sagte Dinge wie, dass man uns nicht helfen könne, weil wir ja auch keine Hilfe wollen würden.
Wir wollten von HelferInnen gerne die Sicherheit, dass man uns nicht zwingen würde in eine Klinik zu gehen. Wir bekamen die Zusage selten bis gar nicht. Auch die Therapeutin, zu der wir vor gut zwei Jahren das erste Mal gingen, haben wir um diese Zusage gebeten. Sie hat sie uns nur halb gegeben, sich eine Hintertür offen gelassen. Und es kam das erste Telefonat in dem es eine Aussage von uns gab, dass es kein Morgen gäbe. Sehr deutlich signalisierte die Thera, dass es ihre Pflicht sei, uns jemanden zu schicken, damit wir Hilfe bekämen. Und kassierte dafür nur ein Paradebeispiel unserer Cleverness. „Bis der hier ist, haben wir längst gewechselt und der Anteil ist dann bestens drauf.“ Ich glaube, sie nahm es dann nicht mehr so wirklich ernst, was irgendwie auch für den Moment aus unserer Sicht das geringere Übel war. Lieber keine Hilfe als eine die uns noch tiefer in den Abgrund zieht.
Die nächste Situation ließ nicht lange auf sich warten. Diesmal war es ein Termin in der Praxis. Sie wollte wohl gerne ein Versprechen von uns, eine Garantie, bis zum nächsten Kontakt durchzuhalten. Ein Versprechen wäre eine Lüge, wenn es nicht wirklich eine Sicherheit in uns gibt, jederzeit steuern zu können was getan wird. Also gaben wir kein Versprechen. Und sie nahm deutlich wahr, wie sehr wir uns mal wieder für den Tod entschieden hatten und wie weit wir weg waren von dem Leben. Es entstand eine Situation, in der wir nur noch um Selbstbestimmung gekämpft haben. Sie stand auf, wir sprangen hinterher. Sie bewegte sich Richtung Telefon, wir stellten uns direkt in den Weg. Sie hatte keine Chance, das Telefon zu bekommen. Nicht ohne sich mit uns auseinandersetzen zu müssen, nicht ohne uns überwältigen zu müssen. Und als sie sich so hilflos fühlte, da konnten wir das erste Mal erleben wie es sein kann, wenn jemand wirklich hilft. Sie hat uns ihre Gefühle gezeigt, ließ uns ihre Verzweiflung spüren. Zum ersten Mal konnten wir fühlen, dass wir nicht mehr alleine sind. Wir konnten spüren, dass da wirklich jemand da ist, ein Mensch, der sich sorgt, eine Seele die in Angst um uns ist, ein Herz dem wir etwas bedeuten.

Und wer nun glaubt, dass es damit doch gut sein müsse und wir nun nicht mehr in diese tiefen suizidalen Krisen geraten müssten, weil doch da jemand ist, der ist auf dem Holzweg. Zu glauben, dass da jemand ist der will, dass wir unser ganz eigenes Leben finden und leben, wenn da ein ganzes Leben niemals jemand war, der das gewollt hätte, ist unglaublich schwer. Jedes Mal aufs Neue tauchen wir ab und alles erscheint dunkel und hoffnungslos und die Überzeugung, dass da niemand sei ist riesig. Und jedes Mal braucht es wieder eine Weile, bis die Thera sich erinnert wie wichtig es ist, uns spüren zu lassen, wie sehr es sie schmerzt, wenn wir so sehr gegen das Leben kämpfen.

Es ist einfach unglaublich, wie sehr sie dennoch immer wieder da ist und da bleibt und nie aufhört, an uns zu glauben. Und in die Klinik wird sie uns wohl nie einweisen lassen. Es ist nicht nötig, über uns zu bestimmen. Sie weiß, dass es hilfreichere Wege gibt, uns zu unterstützen. Sie lässt uns ihre Liebe spüren, auch dann wenn wir sie nicht glauben wollen und wenn wir gegen sie kämpfen und gefühlt jede Hilfe ausschlagen. Sie bleibt einfach da, mit all ihrer Liebe, mit all ihrer Sorge um uns. Sie hält uns aus. Uns mit all der Angst vorm Leben.

Ich wünschte, es gäbe mehr HelferInnen die bereit sind da zu sein und es auch zu bleiben. Ich wünschte, jeder Mensch der als Kind so Schlimmes erlebt hat, würde jemanden finden, der bleibt und mit-aushält.

Alltags-Wahnsinn · Therapieerfahrungen

Gefühlsstrudel


Ein gut gefülltes Café. Es ist kein schöner Tag. Ein ausgefallener Termin, an deren Ausfall wir keine Schuld tragen und uns dennoch schuldig fühlen. Unannehmlichkeiten, die es besser nicht gäbe. Es ist unangenehm kühl und windig. Sieht aus, als gäbe es noch Regen.
Wir haben Zeit, freigewordene Zeit, weil der Termin verschoben werden muss. Weil wir vergeblich gewartet haben.
Wir haben uns für dieses Café entschieden. Nur ein wenig zusammen sein, nur reden was so in den Sinn kommt. Irgendwas. Kein Smalltalk, und doch besser etwas Unverfängliches, Sachliches, Allgemeines. Eine Kleinigkeit essen. Gemeinsam essen. Ihr zeigen dass wir das können, ganz entspannt.
Von irgendwoher ein Geräusch, wir spüren wie alles wegfährt, fangen uns sofort wieder und stellen fest, dass es wohl triggert, das Geräusch.
Sie kündigt an, dass sie bald gehen muss. Unkontrolliert greift meine Hand über den Tisch nach ihrer. Sie lässt es geschehen. Lässt zu, dass meine Finger ganz vertraut sich über ihre Hand bewegen, ihre Finger ertasten, liebevoll berühren. Mein Herz klopft, im Bauch fliegen Schmetterlinge deutlich spürbar. Ich vergesse die Menschen um uns. Vergesse wo ich bin, warum ich hier bin und was hier eigentlich gerade ist. Als sie aufsteht, versuche ich die Zeit zu nutzen, mich wieder zu orientieren. Wo bin ich? Wer bin ich? Wer ist sie? Was ist geschehen? Jemand im Innen erinnert daran, dass ich Sie sagen muss. Es fühlt sich falsch an. Hartes Aufprallen in der Realität. Zu hart für Herzklopfen und Schmetterlinge im Bauch. Ich gebe mich cool. Nur nichts anmerken lassen.
Wenn sie nur nicht so nah wäre. Wenn sie nur nicht so unglaublich anziehend auf mich wirken würde. Wenn mein Herz doch nur aufhören könnte so sehr zu klopfen, wenn ihr Gesicht so nah kommt. Wenn da nur nicht immer wieder dieser Wunsch so groß wäre, sie würde nur einen kurzen Moment auch vergessen und könnte so fühlen wie ich und unsere Lippen könnten einander finden und es würde sich anfühlen wie all die Schmetterlinge die wild im Bauch tanzen.
Sie hatte doch gefragt, die andere gefragt, ob sie verliebt in sie sei. Sie wusste es nicht, die andere, die im gleichen Körper wohnt. Sie hatte nichts gesagt von meinem Fühlen. Sie hat mich nicht verraten.
Ich berühre vorsichtig Ihre Wange, wie ich es schon so oft getan habe. Rede mir ein, dass es wieder aufhören wird, das Herzklopfen und all das Fühlen.

Nur wenige Stunden, dann würde ich sie wiedersehen. In vertrauter Umgebung.
Ich will sie nicht sehen. Ich will ihr nicht nah sein. Und doch will ich nichts lieber als das. Ich will nur nicht kämpfen müssen gegen all die inneren Verbote. Will nicht Angst haben vor der Zurückweisung. Und ich will nicht ankommen müssen in der Realität.

Es ist komisch, sie so schnell wiederzusehen. Ich nehme mir fest vor, auf Abstand zu bleiben. Es gelingt nicht. Meine Augen hängen an ihren Lippen. Ihre Worte werden doppeldeutig verwertet. Sie redet etwas von Erfahrung die ich mit einem Telefonat sammeln könnte und dann könne man darüber sprechen und gucken wie man damit umgehen möchte. Ich denke nicht, dass ich mit ihr über diese Erfahrung sprechen möchte. Ich ahne, dass sie von etwas anderem spricht. Mein Herz klopft so sehr. Ich rede wirres Zeug. Sie kann mir nicht folgen. Ist auch gut so, sonst würde sie zu viel verstehen.
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und sage ihr, dass das Sie sich so falsch angefühlt hat, vorhin im Café. Ich sage ihr, dass wir so nah waren, so vertraut. Für sie war alles okay, alles gut. Ich weiß, dass sie nicht verliebt ist. Sie hat das gesagt. Ich versuche ihr zu glauben, auch wenn mein Herz so viel anderes fühlt. Ich sollte auch nicht verliebt sein, es wird nur weh tun, früher oder später. Sollte mich zusammenreißen und vernünftig sein.

Und dann kann ich es fühlen. Ganz plötzlich fängt es an, sich aus der tiefsten Tiefe nach oben zu schieben. Ganz langsam und doch unverwechselbar deutlich. Ich schaue sie an, während meine Augen sich mit Tränen füllen. Ihre Frage danach, was grade ist, was passiert. Ich kann sie nicht beantworten. Weiß es selbst nicht genau. Suche nach dem Namen für das Gefühl. Plötzlich presse ich hervor, dass ich Angst habe. Unendliche Angst. So groß und so stark, dass ich sie nicht aushalte.
Ich habe Angst vor dem Herzklopfen, vor den Schmetterlingen in meinem Bauch. Ich habe Angst davor, die Kontrolle zu verlieren. Angst vor dem Rausch in den dann alles gerät und in dem ich taumelnd in einen Strudel falle der mich mit sich reißt.

Ich habe Angst davor, Verliebt zu sein. Weil ich Angst vor den Berührungen habe, vor den Knöpfen die gedrückt werden und mich wie eine Maschine funktionieren lassen. Ich habe Angst vor dem Gefühlsstrudel in den ich zu fallen drohe.

Sie ist unsere Therapeutin. Sie hat uns gern. Sie lässt nicht zu, dass etwas geschieht was nicht gut für uns ist. Sie passt auf. Sie ist doch da. Sie behält doch die Kontrolle. Sie hält uns fest. Ganz sicher.

Doch in mir dröhnt die Angst.
Sie ist ein Mensch, ein erwachsener Mensch. Ein Mensch mit eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Gefühlen. Sie ein Mensch mit Sexualität.

Was wenn sich alles wiederholt was wir kennen?

Was ist wenn alles anders sein wird als es immer war?

Ich habe Angst zu fallen.

Therapieerfahrungen

scheinbar zweifelhafte Wege


Wenn ich soweit zurückdenke, wie ich mich bewusst an mich und mein Leben erinnern kann, wobei ich in der Pubertät lande, sehe ich mich als jemand, der immer dagegen war. Auf alles hatte ich ein Aber und nichts war so gut wie andere es für gut befanden. Was anderen gefiel fand ich total daneben. Einfach so, aus Prinzip. Ich war immer dagegen. Und ich habe immer in gewisser Weise provoziert. Sei es dadurch, dass ich Löcher in meine Klamotten schnitt oder sie gar mit Lackfarbe besprühte. Oder dadurch, dass ich eine rote Glühbirne in die Deckenlampe meines Zimmers drehte und alle sich darüber aufregten. Ich hasste mein Fahrrad, weil es keine Stange hatte und fuhr lieber mit dem Rad des Freundes. Es sah so cool aus und es war ein richtiges Herrenrennrad. Ich wollte mich nicht mehr anpassen, wollte nicht mehr lieb und nett sein. Ich ließ mir meine langen Haare raspelkurz schneiden und mir in jedes Ohr ein zweites Loch stechen, was die Eltern alles nie erlaubt hätten. Ich trug viel zu große Pullis und zog immer die Ärmel über die Hände. Und manchmal zog ich sie einfach auf links gezogen an. Einfach nur weil man das eigentlich nicht tut. Ich wollte nicht wie andere einen normalen Beruf lernen. Hatte mir in den Kopf gesetzt Schauspielerin zu werden. Ich war nicht wie die anderen, ihre Schuhe passten mir nicht, ihre Mäntel wollte ich nicht tragen.

Ich wurde natürlich nicht Schauspielerin, habe es nicht mal bis zur Schauspielschule geschafft, weil mir zuvor alle möglichen Psychodiagnosen und Schwierigkeiten in die Quere kamen. Doch wie ich schon vorher nicht in die ollen Schubladen passte, die die Geschwister bereits ausgebeult hatten, passte ich auch nicht in die Diagnoseschubladen und auch in kein Therapiekonzept. Immer wieder war alles irgendwie sinnlos und ohne Erfolg. Ich war ein Kind, vielleicht ein Teenager im Körper einer Erwachsenen. Immer. Manchen Menschen fiel das sogar auf. Manch ein Lehrer der mich als Jugendliche unterrichtete hatte das Bedürfnis sich um mich zu kümmern. Leider habe ich bei manchem pädophil veranlagtem Lehrer leider auch entsprechende Gefühle hervorgerufen. Ja sogar in einer Klinik warf mir eine Chefärztin vor zu kindlich zu sein. Ich müsse mich ja nicht wundern, wenn mich die Leute dann einfach anfassen, weil sie meinen mich beschützen zu müssen. Ich kann nicht fassen, dass diese selbe Ärztin im Traumabereich in den Himmel gehoben wird, weil sie zu Lebzeiten ach so tolles Wissen weitergegeben hat. Uns hat sie gesagt wir seien selbst schuld wenn man unsere Grenzen überschreitet. Im Krankenhaus landeten wir schon mal in einem Zimmer für Kinder obwohl wir dem Alter eigentlich entwachsen waren. Als wir mit 20 im Frauenhaus Zuflucht fanden wurden wir von der Erzieherin betreut, weil wir ja nicht wirklich erwachsen erschienen. Wir waren froh darum, waren mancher Überforderung entlastet und hatten so Gelegenheit Dinge lernen zu dürfen die man bei Gleichaltrigen als Fähigkeit vorausgesetzt hat.

Doch wir passten auch nicht in die herkömmlichen Therapien. Nicht stationär und nicht ambulant. Ein Satz in einem Klinikbericht, den unsere dortige Therapeutin nach vierzehn Wochen schrieb, hat angedeutet was wirklich gebraucht wurde und wird. Sie hat nicht geschrieben, dass falsch ist wie unsere ambulante Therapeutin mit uns arbeitet. Sie hat lediglich davon geschrieben, dass es eine mütterliche, warmherzige Therapeutin bräuchte, um wirklich Hilfe annehmen zu können.
Wir haben so eine Therapeutin dank der lieben Kliniktherapeutin auch ambulant gefunden. Sie war mütterlich und hat sich sehr bemüht. Im ersten Jahr haben wir uns wohl enorm verändert. Wir trafen eine Vertretungsärztin nach ca. einem Jahr Therapie wieder, die sich wunderte wie wir nur so erwachsen geworden seien. Als man ihr erzählte, dass die Therapeutin wie eine Mutter sei und man so nachreifen könne, war sie vollkommen begeistert und riet dazu, ganz unbedingt genauso weiterzumachen. Leider ging das daneben. Warum lässt sich wohl niemals so wirklich sagen. Vielleicht hat sie sich zu wenig abgegrenzt, vielleicht war sie zu sehr Mutter und zu wenig professionell. Und vielleicht war sie auch einfach nicht gut genug ausgebildet, um uns die Unterstützung geben zu können, die wir gebraucht hätten. Vielleicht war es auch einfach der falsche Zeitpunkt oder das instinktive Gespür, dass sie nicht ehrlich mit uns ist. Zumindest ging es ziemlich daneben und endete sozusagen in einer Katastrophe die uns noch immer verfolgt.

Es gab sowas wie eine Entscheidung, jetzt ganz erwachsen zu sein und mit diesen normalen Therapien klarkommen zu wollen. Und so war es dann auch. Genau zwei erwachsene Anteile von uns gingen in die Therapie. Natürlich erfolglos. Aber wenigstens waren wir so in dieser Form akzeptiert.

Dieses Mami-Ding hat einen sehr bitteren Geschmack hinterlassen. Und wir brauchten alle viel Zeit um wieder glauben zu können, dass diese liebe Kliniktherapeutin absolut richtig damit lag, dass wir eine mütterliche, warmherzige Therapeutin brauchen. Wir brauchen jemand, der uns Liebe geben kann, auch wenn uns das unendlich Angst macht.

Doch wir wissen um all die Zweifel. Die Zweifel in uns und auch die Zweifel die in anderen Menschen dazu da sind.

Wenn wir sagen, dass wir eine Therapeutin brauchen, die wie eine Ersatzmutter für uns sein kann, dann wird uns angedichtet wir wollten Kuscheltherapie machen und nicht ernsthaft an schwierige Themen heran. Es wird gehört, dass wir uns in Abhängigkeit begeben, Verantwortung für uns abgeben und uns umsorgen lassen wollen. Alle die, die so reden, haben schlicht keine Ahnung!

Unsere Therapeutin ist für uns wie eine Ersatzmutter. Sie gibt uns genau das was wir brauchen, um an den schwierigen Themen gut arbeiten zu können. Sie fördert uns in unserer Eigenständigkeit und hilft uns da wo wir es selbst noch nicht gut hinbekommen. Niemals würde sie uns zu irgendetwas zwingen oder uns Nähe geben die wir nicht wollen. Doch wenn in uns der alte Schmerz hochschießt, dann wissen wir in jeder Therapiestunde, dass sie da ist und wir die Wahl haben, den Schmerz zu dissoziieren oder uns in den Arm nehmen zu lassen, damit der Schmerz aushaltbar wird. Es geht doch nicht darum, es alleine schaffen zu müssen. Denn alleine mussten wir es immer schaffen. Da waren nie Arme die aufgefangen hätten. Es geht für uns darum zu verinnerlichen, dass es heute die Wahl gibt, damit allein zu bleiben oder nicht. Und es geht darum, ganz tief zu wissen, dass es jemanden in der Welt gibt dem wir nicht egal sind. Wenn sie uns nicht ansehen würde wie es eine liebende Mutter mit ihrem Kind tut, würden wir nicht fühlen können was die Wahrheit ist.
Hätte sie nicht immer wieder heftige Zeiten mit uns durchgestanden, ohne uns dann an andere abzugeben, wir hätten wohl nicht glauben können, dass sie uns aushält. Und um die Momente, in denen sie uns ihre Gefühle zeigt, ganz egal ob es Freude oder Traurigkeit oder Angst oder Zickigkeit ist, sind wir so unendlich dankbar. Einfach weil wir dann wissen, dass es wirklich ein Mensch ist, der uns gern hat wie wir sind.

Als wir die Therapie begonnen haben, waren wir nicht sicher, ob sie uns am Leben halten könnte. Der Wunsch, uns in den Tod zu flüchten war so verlockend.
Heute wissen wir, dass es da einen einzigen Menschen gibt, für den es sich lohnt den Kampf um unser Leben um jeden Preis zu gewinnen. Denn es ist zweierlei ob eine Therapeutin sagt, dass sie nicht will, dass man sich umbringt, oder man in ihrem Gesicht sehen kann, dass ihre Nächte wenig erholsam sind, wenn man selbst gerade gegen Suizidprogramme und innere Gewalt kämpft. Wir wissen, dass sie auch an Ostern wenig Erholung im Schlaf finden wird, weil in uns die Suizidprogramme angetriggert werden könnten. Doch wir wissen auch, dass es dazugehört, wenn man für einen Menschen Liebe empfindet. Wenn sie krank ist, sind wir auch in Sorge um sie, bis wir Gewissheit haben, dass alles gut wird und sie gut versorgt ist. Wir fühlen und erleben in uns heute das, was uns als Kind versagt wurde.

Wir wissen ganz sicher, dass dieser Weg uns in ein Leben bringen wird, in dem wir frei sind.

Und dennoch gibt es die vielen Zweifler die uns immer wieder kurzzeitig verunsichern.

Alltags-Wahnsinn · Therapieerfahrungen

fremdartig gefährlich


Es weint und wimmert. Das Herz klopft als würde es herausspringen wollen. Da ist nichts was hält, nichts was sicher ist. Ganz alleine. Verlorengegangen in der Fremde. Alles bricht weg sobald danach gegriffen werden will. Wo ist da nur der Boden, der getragen hat? Wo das vertraute Gesicht, die Augen, an denen man sich halten konnte?

Nur eine Veränderung. Gar nicht plötzlich. War schon ganz lange bekannt und es gab auch mal so viel Vorfreude. Seit Wochen fieberten wir dem Tag entgegen, an dem es endlich soweit sein würde, dass es einen neuen Therapieraum geben würde. Immer wieder haben wir nachgefragt, wie er aussehen würde. Wir haben ihn schon mal angesehen, als er noch anders genutzt wurde. Der Raum war also gar nicht so ganz fremd. Man hatte eine Vorstellung. Und wir haben uns doch so darauf gefreut, dass es dort eine Kuschelecke geben würde, nur für uns. Eine die dableibt, die nicht aufgebaut und wieder abgebaut wird. Die bleibt, die ist immer da. Und wir wussten sogar schon wie sie aussehen würde. Alles war ganz gut vorbereitet.

Doch irgendwo in einem der hintersten Winkel gab es Zweifel, Ängste, ob es gut gehen würde. Aber, Quatsch, natürlich. Ist doch nur der Raum ein anderer. Adresse bleibt die gleiche. Die Therapeutin ist längst vertraut. So vertraut, dass wir nicht mehr bei jeder Begegnung neue Annäherung brauchen um zu erkennen, dass sie sicher ist.

Doch dann kam es irgendwie anders.

Am alten Raum vorbeigehend wurde gesehen, dass er fremd aussieht. Es gibt keinen Weg zurück in die Sicherheit. Sofort wird gezögert. Panik steigt auf. Als wir den Raum betreten, wirkt er sofort angenehm, geborgen, warm, freundlich. Aber auch fremd. Wir schauen nach Vertrautem, finden es auch. Die Kuschelecke sieht toll aus. Und es gibt viel mehr Kissen und mehr Kuscheltiere und ganz viel zu gucken. Aber es ist FREMD. Mit ganz viel Angst schaffen wir es doch irgendwie, uns dort hinzusetzen, in die Kuschelecke, da wo wir immer wissen, dass man sich klein fühlen darf und Angst haben und weinen und alles. Da sind immer Arme die sanft halten, Hände die liebevoll berühren, eine Mamifrau, die tröstet.
Der Raum ist ganz wunderschön, hat so viel Wärme und Geborgenheit. Und so viele Kissen, die wir alle anfassen und festhalten dürfen. Wenn wir uns nur trauen könnten.
Der Raum ist viel heller als es der andere war. Da wo das vertraute Fenster war, aus dem wir uns in den Himmel beamen konnten, ist nur eine Wand.
Wir kuscheln uns trotzdem ein in die Arme, die doch so vertraut sein sollten. Doch ein Blick in das Gesicht verrät, das auch das komisch wirkt. Es ist heller im Raum, das Sonnenlicht lässt alles noch fremder erscheinen, auch die Gesichtsfarbe. Wir kennen die Mimik, und dennoch erscheint das Gesicht FREMD. Die Augen haben dieselbe Form wie immer, doch die Farbe sieht anders aus. Sie geben keine Sicherheit. Einzig das Gefühl, wie der Körper sanft gewiegt wird und die Stimme am Ohr sind vertraut.
Sie weiß wie schwer all das ist, wie schlimm Veränderungen sind.
Wir sind nur noch ein Kopf ohne Körper.
Die Stimme am Ohr soll nicht verstummen. Die Arme die kaum gefühlt werden können, sollen nicht loslassen. Das warme Gefühl was es macht, wenn sie uns in ihrem Arm hält, es soll bitte bleiben. Denn es ist alles was uns gerade hält.
Mit dem Ende der Zeit bahnt sich eine Traurigkeit von ganz tief innen ihren Weg nach oben.

Wo ist er nur hin, der sichere Ort, an dem alles so vertraut war?

Haltlos schwirren Stimmen wie Gedanken durch das Nichts wo der Körper nur noch leere Hülle zu sein scheint.

Wir sind der Wirklichkeit entflohen.

Therapieerfahrungen

Bindung ……………………


…………………… macht noch immer (auch) Angst.

Es ist wieder geschehen. Die alte blöde Tretmine. Immer wieder der gleiche Mist. Ein Blick, ein Wort, irgendetwas, ganz unbedeutend erscheinend, und mit einem Rums befördert es uns ins Chaos und macht uns unfähig, noch zu erkennen was wirklich hier und heute geschieht.

Und noch immer ist es kaum möglich in dem Moment zu erkennen was geschieht.

Und doch ist es immer auch ein Stück anders als beim Mal zuvor. Ich bekomme mehr Feinheiten mit, spüre etwas wie ein ungutes Gefühl. Nur kann ich nicht erkennen, wie ich aus dem Jetzt gleite. Ich bekomme es erst mit wenn ich wieder im Hier lande. Und dann ist mit Pech schon alles zu spät, weil viel zu viel zerstört wurde.

Es wurden dann Worte gesagt, die andere auf Abstand bringen, Kontakte abgebrochen, Beziehungen zu anderen zerstört. Ganz überzeugt davon, dass dieser andere mich nicht will, mich nicht erträgt, mich maßregeln, bestrafen, aus seinem Leben verbannen will. Ich muss mich retten. Wenigstens irgendwie verhindern, dass mir geschadet wird. Ich muss weg, weg von hier, weg von diesem Menschen. Ich muss mich vor dem schützen was er mir antun wird.

Nichts lässt mich erkennen, dass ich aus einer Zeit agiere die lange vorbei ist.

Ich sehe den Menschen vor mir, der da im Heute vor mir ist. Weiß ganz genau wer dieser Mensch ist. Doch es gibt kein Gefühl dazu, dass dieser Mensch keine Gefahr ist. Worte werden verstanden wie sie mir als Kind gesagt wurden, mit der gleichen Bedeutung und den gleichen Konsequenzen.

Und wenn ich dann wieder im Hier gelandet bin, dann kommt da ein unglaublich großes Schamgefühl hoch, gepaart mit Angst. Was habe ich nur getan? Wie kann ich es nur wiedergutmachen, es in Ordnung bringen. Und auch da finden sich unter den vorrätigen Wiedergutmachungen nur Leistungen aus längst vergangener Zeit. Sie wären wohl nicht angebracht und auch nicht erwünscht. Das wäre sehr unpassend.
Doch wie soll man nur diesem Menschen wieder unter die Augen treten, wo man ihn doch so abgelehnt hat? Der wird mich hassen, mich abtropfen lassen, mich schroff zurückweisen.

Soweit die Abläufe.

Üblicherweise wurden in der Folge Kontakte nicht wieder aufgenommen, oder endgültig beendet. Es gab keine Bindung, keine Sicherheit, keinen Boden, keine Basis, die getragen hätte.

Heute gibt es das. Und deshalb ist es heute möglich, anders zu reagieren. Die Gedanken und Impulse sind noch immer die gleichen die sie auch zuvor waren. Doch heute kann ich zulassen, diesen Menschen, den ich gestern noch für gefährlich hielt, zu vermissen. Ich kann sagen, dass mir leid tut was ich gesagt und getan habe. Ich darf mich trauen, mit all der Angst und der Scham, und obwohl da noch immer im Hintergrund die Sorge lauert, dass doch wahr ist was gestern verstanden wurde. Ich darf heute trotz allem diesem Menschen unter die Augen treten. Und obwohl diese Angst in mir lauert, dass ich zurückgewiesen werde, kann ich es wagen, Nähe zuzulassen. Ich kann mich sogar trauen, mich auf die Begegnung zu freuen.

Denn heute ist was anders.

Heute gibt es eine Basis. Ein Grundvertrauen. Ein Wissen darum, dass dieser Mensch anders ist, auch wenn die Worte sich in meinen Ohren angehört haben wie die gleichen Worte, die ich als Kind gehört habe. Auch wenn ein Blick erinnert hat. Wenn da etwas war, was ungute Gefühle ausgelöst hat. Ich weiß, dass dieser Mensch mich gernhat und das ganz wirklich.

Und das ist Bindung.

Ich habe einen recht guten, anschaulichen Artikel zum Thema Bindung bei Kinder.Kinder.Kinder. gefunden. Dort ist recht gut beschrieben, wie wichtig eine sichere Bindung für einen Menschen ist.

Was ich hier beschreibe, sind die Folgen die der Mangel an sicherer Bindungserfahrung mit sich bringen kann.
Es ist verdammt schwer, als erwachsener Mensch zu lernen, was eigentlich bereits in den ersten Tagen meines Lebens hätte vorhanden sein sollen.
Es ist verdammt schwer und sehr mühsam, aber nicht unmöglich.