Wir schleichen seit einer halben Ewigkeit um dieses Thema herum. Immer wieder gab es Einwände und Bedenken und war es nicht möglich zu schreiben was geschrieben werden sollte. Dann schrieben manche von der Mami-Frau und haben damit bei dem einen oder anderen von euch für Verunsicherung gesorgt. Und irgendwie war klar, dass wir doch mal etwas zu dem Thema schreiben sollten. Und manches einfach besser zu erklären, wäre wohl auch gut.
Also wenn hier von der Mami-Frau die Rede ist, dann meinen wir damit niemand anderen als unsere Thera. Es ist unser Name für sie, unser Gefühl für sie. Für die meisten von uns ist das so stimmig.
Und jetzt kann ich förmlich spüren wie die vielen Einwände und Warnungen hochschießen und viele von euch meinen, uns doch irgendwie schützen zu müssen. Schützen davor, dass es ganz schlimm wird, weil alles zu nah wird und sich zu viel vermischt und dann nichts mehr geht. Es ist okay, wenn diese Sorgen und Befürchtungen da sind. Sie sind ja richtig. Und wir wissen ja auch, dass es gefährlich ist. Doch wir wissen auch, dass es nicht anders geht, nicht für uns.
All die Wunden, all der Schmerz, all die Risse in der Seele, sie können nur heilen wenn es Liebe geben kann. Und Liebe kann es für einen Menschen nur geben, wenn er als Kind die Liebe der Mutter oder einer anderen engen Bezugsperson erfährt. Ein Kind ist angewiesen auf die bedingungslose Liebe, um sich wagen zu können, das Leben zu entdecken. Wenn es sich der Liebe dieser einen Bezugsperson sicher sein kann, ist es möglich, Risiken einzugehen, denn es weiß ja, dass dieser Mensch da sein wird und es liebevoll umschließen und trösten wird, wenn etwas schiefgegangen ist. Kinder, die in Liebe aufgewachsen sind, können das Elternhaus in der Sicherheit verlassen, dass die Liebe der Eltern bleibt, auch wenn sie nicht mehr dort wohnen.
Aber wie ist das denn bei einem Kind, das nicht in Liebe aufwächst? Wie ist das bei einem Kind, das nie die Liebe im Gesicht der Mutter sehen konnte? Ich weiß es nicht, wie es wissenschaftlich oder psychologisch erklärt wird. Ich könnte es nachlesen, doch darum geht es für mich nicht. Ich möchte verstehen können wie es bei mir ist. Ich möchte mir selbst erklären können, warum es ist wie es ist.
Seit ich denken kann habe ich nach einer Mutter gesucht, nach einer Mami. Denn eine Mama hatte ich. Und da fängt es an kompliziert zu werden. Mancher wird denken, dass es doch das gleiche ist. Für mich und uns war es das nie.
Die Frau, die mich geboren hat, habe ich Mama genannt, weil ich es nicht anders kannte. Aber ich habe mitbekommen, wenn meine Freundin zu ihrer Mutter Mami sagte und da dieses besondere Band zwischen ihnen war. Eine Mami ist etwas besonderes, so hat sich das angefühlt. Und instinktiv wusste ich schon als kleines Kind, dass mir dieses Mami-Gefühl fehlt. Ich hatte eine Mutter, die mich körperlich versorgt hat. Sie hat mich gewaschen, gefüttert, gewickelt, schlafen gelegt. Sie hat mich physisch versorgt, mehr nicht.
In meiner Phantasie habe ich mir eine andere Familie erschaffen. Dort gab es so eine Mami. Eine die mich tröstend in ihre Arme nahm, so wie ich es bei anderen Kindern und ihren Müttern gesehen habe. Doch in der Realität gab es das nicht. Ich kenne kannte nicht Trost, Liebe, Geborgenheit und zwischenmenschliche Wärme. Ich habe überlebt, weil ich mir eine Welt geschaffen habe, in der ich das bekam, was in der realen Welt unmöglich war.
Und ich habe gehofft und gebetet, dass es doch bitte real werden soll. Ich habe gewünscht, andere Eltern zu haben. Habe mir immer wieder gewünscht, es würde eine Frau kommen, die sagt, dass sie mich mitnimmt, weil ich ihr Kind bin. Aber es kam keine. Ich habe mir Ersatzmütter ausgesucht, die mich nicht wollten. Und wirkliche Liebe gab es dort auch nicht.
Als Kind und eigentlich immer, bis vor wenigen Monaten, habe ich geglaubt, dass mir eine Mutter fehlt. In gewisser Weise stimmt es. Und doch stimmt es auch nicht. Ersatzmütter hat es einige gegeben. Durch sie konnte nicht heilen, was verletzt war.
Was wirklich immer gefehlt hat, ist die bedingungslose Liebe die eine liebende Mutter für ihr Kind fühlt und die das Kind dadurch zurückgeben kann.
Ohne einen Menschen, der einen tröstend in die Arme schließt ist Schmerz so unaushaltbar schlimm, dass er betäubt, weggemacht, verboten werden muss. Und leider nicht nur der Schmerz. Auch Freude und Glücksgefühle. Und überhaupt alles was gefühlt werden kann. Wir blicken in ein Gesicht und können nichts erkennen. Gesichter blicken neutral oder sie sind gefährlich. Wir konnten nicht lernen wie es ist, wenn eine Mutter liebevoll auf ihr Baby schaut. Es gab nur ein nichtssagendes Gesicht oder eines von dem Gefahr ausging.
Wir kommen so nicht gut zurecht im sozialen Miteinander, weil wir die nonverbale Sprache der Menschen nicht gut verstehen können. Und die anderen verstehen nicht unsere Reaktionen.
Aber wir wissen ja, was uns fehlt. Wir wissen ja, dass es möglich ist, das zu lernen. Wir wissen schon so lange was wir brauchen, um heilen zu können. Nur ist es so verdammt schwer.
Da ist doch so viel Angst vor all dem Fremden. Da wird für einen Moment erkannt, dass im Gesicht der Mami-Frau ganz viel Liebe zu sehen ist. Und vermutlich wird auch das nur gesehen, weil zusätzlich eine liebevolle Berührung zu spüren ist. Dann möchte ganz tief darin versunken werden und die Zeit soll bitte stehenbleiben. Und gleichzeitig kriecht die Angst hoch, dass wir uns täuschen und alles ganz anders ist.
Es ist ein Kampf, so viel Verwirrung, so viel Angst.
Und immer dann, wenn gerade wieder geglaubt wird, dass es ganz wirklich wahr ist. Wenn ein Funken von Glauben erlaubt werden kann, wird der kleinste Beweis aufgesammelt, der alles zunichtemachen könnte. Denn der Schmerz, wenn wir uns doch täuschen sollten, er wäre unerträglich. Also lieber gleich den Schmerz spüren, bevor die Liebe noch größer wird und alles noch viel schlimmer. So wird es gefühlt und befürchtet. Denn alles was wir bis jetzt kennen, ist Liebe die schmerzt.
Ich bin ganz sicher, eines Tages wird der Moment da sein, wo plötzlich alle Wolken am Himmel verschwunden sind und die Sonne strahlt wie nie zuvor. Eines Tages wird sie uns ansehen und wir werden wissen, dass es Liebe ist. Ohne Bedingungen. Ohne Gegenleistung. Ohne ein Aber. Wir werden es glauben dürfen, eines Tages.
Und sie wird dableiben und nicht müde werden, immer wieder winzige Tropfen Liebe in uns hineintropfen zu lassen, bis es ausreichend viele sind, um glauben zu dürfen.
Deshalb ist sie unsere Mami-Frau.
Weil sie bleibt.
Auch wenn wir sie bekämpfen.
Sie bleibt, weil sie weiß, dass der Tag kommen wird, an dem wir erlauben können, dass Liebe für uns geglaubt werden darf.
Wir wissen, dass es gefährlich ist, weil es passieren kann, dass wir uns täuschen. Und wir wissen, dass es gefährlich ist, weil es geschehen kann, dass wir es zusammen nicht gut hinbekommen.
Doch im Moment wissen wir, dass die größte Gefahr ist, dass wir vor all dem tiefen Schmerz der spürbarer wird, je mehr wir Liebe fühlen können, davonlaufen.
Es ist so schwer zu verstehen, dass es Grenzen gibt, die ganz untröstlichen Schmerz auslösen, und dennoch gut für uns sind.
Weihnachten ist so eine Grenze.
So wichtig es ist, dass sie da gut auf sich und uns achtet, so stark zerreißt uns auch der alte Schmerz der sich mit der aktuellen Zurückweisung vermischt.
Doch gäbe es da nicht ein Band zwischen uns, wäre es uns nicht möglich, uns im Schmerz von ihr trösten zu lassen. Es wäre ohne bedingungslose Liebe nicht möglich.
Das ist für uns der Schlüssel zur Heilung.
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