Alltags-Wahnsinn · Therapieerfahrungen

Tretminenchaos

Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, dass mein letzter Artikel hier schon fast eine Woche her ist. Überhaupt kommt mir die vergangene Woche recht komisch und irgendwie unwirklich, weit weg und seltsam vor. Manches erscheint mir total irreal.

Als ich diesen letzten Artikel geschrieben habe, war ich noch so optimistisch, meine Hand rausgestreckt zu haben aus dem Loch und alles würde gut werden. Dabei befand ich mich schon in dem Moment auf dem Weg in das nächste „Loch“. Nein, ein wirkliches „Loch“ war das nicht. Eher sowas wie eine Sammlung von Sprengstoff, der bei kleinster Berührung hochgehen würde. Eine Mischung „alter Filme“, „alter Gefühle“ und Programme die sich gegenseitig auslösen und aufrechterhalten. Es hat mich einfach verschluckt. Am Samstag fing alles an. Es waren nur Irritationen, Gefühle, die nicht einzuordnen waren, Angst Gefühle zu haben, die nicht sein dürfen. Und schnell wurde daraus Panik und Ausweglosigkeit. Wieder InMichSein, wieder ganz zurückziehen. Zu viel Scham, zu viel Angst, zu viel Traurigkeit. Einfach von allem mehr als ich meinte aushalten zu können.

Trotzdem hatte ich es irgendwie am Montag in der Therapiestunde geschafft mit ihr über all das zu reden. Irgendwie war es möglich aus meinem Panzer herauszukommen und da zu sein. Und dann eine völlig harmlose Frage, das Schamgefühl kocht sowas von über und ich sitze wieder voll drinne. Und dann ging irgendwie gar nichts mehr. Die Spirale drehte sich immer schneller und die Ausweglosigkeit wurde immer heftiger. Eigentlich war nur noch InMichSein und „ich weiß gar nicht mehr ob ich leben will“. Und in all dem fielen dann Worte wie „ich stehe jetzt auf und gehe zum Telefon“, „das geht so nicht“, „dann müssen Sie in die Klinik“. Der nächste Sprengsatz ging in die Luft, die nächsten Explosionen. Sie will mich nicht mehr, ich bin zu viel, ich bin nicht okay, bin anstrengend, nicht tragbar, muss weggesperrt werden, darf nicht sein. Worte ziehen vorüber und können nicht mehr gehört werden. Sitze in der Falle. Nur noch ein Gedanke im Kopf „ich muss hier raus“. Fünfmal fragen, ob ich bitte jetzt gehen darf. Nein, ich darf nicht. Erst soll ich versprechen, dass ich kämpfe. Erst soll ich zusagen, dass wir uns zum nächsten Kontakt auch hören werden. Es braucht eine Weile, bis ich sie überzeugen kann. Bis sie meiner Lüge glaubt. Dabei wollte ich nie lügen, nicht bei ihr, nicht ihr ins Gesicht. Wollte ihr kein Versprechen geben ohne es ehrlich zu meinen. Aber die Angst vor Fremdkontrolle war viel zu groß. Als ich die Praxis verließ war ich fest entschlossen, sie nicht wieder zu sehen. Zu sehr war ich davon überzeugt, keine andere Wahl zu haben als den Tod.

Zwei Stunden später am Telefon konnte ich auf ihre Frage, ob es ehrlich war oder ich eigentlich nur weg wollte, nicht mehr lügen. Schlimm war das Gefühl, sie belogen zu haben, schlimm war es, ihr zu sagen, dass sie mir nicht glauben darf, dass sie mir nicht vertrauen darf. Aber es war auch schlimm, von ihr zu hören, dass sie mich loswerden will, mich nicht mehr erträgt. Ja, in dieser Zeit war ich sicher, dass sie das gesagt und gemeint hat. Ich war sicher, dass ich zu viel bin und abgeschoben werden muss, damit sie wieder Ruhe hat.

Am nächsten Tag der nächste Telefontermin, nein, es waren sogar zwei. Nur zwei, wo es am Wochenende sogar drei waren. Ich weiß nicht wirklich viel von dem ersten Telefonat. Denn irgendwann war ich plötzlich weg, verschluckt und etwa eine Stunde später wieder ausgespuckt. Und wieder erfahre ich nicht wirklich, wer die Zeit geklaut hat und was geredet wurde. Es ging darum was jetzt helfen kann, das war alles was ich erfahren habe. Später ein paar Inhalte mehr, aber nichts konkretes. Na toll, da sitzt also ein Männchen in meinem Kopf was Auskunft darüber gibt, wie die Thera helfen kann. Ich kenne das Männchen nicht, kann auch nicht mit ihm reden, aber es weiß alles über mein Leben und erzählt das mal eben so ohne meine Zustimmung. Also totale Kontrolle von allen Seiten. Da hab ich doch gar keine Wahl mehr. Und der alte Film ratterte noch immer. Und dann knallen die Worte der Thera voll rein in den Film. Sie hat Angst um uns, sie will dass wir leben, weil sie uns gern hat. Von innen sagt einer etwas wie, sie wäre ihr ganzes Leben lang traurig, wenn wir nicht mehr da wären. Sie packt mich mit den Worten und katapultiert mich raus aus dem Loch. Ein riesiger See an „das tut mir so leid“ und „ich will nicht, dass sie traurig ist“ und „ich hab sie doch so lieb“ füllt sich in Minuten. Aber ich war raus aus dem Loch.

Und ich saß in der alten Sehnsuchtsfalle.  Na die kenne ich ja nun eigentlich schon. Die ist irgendwie zu überleben.

Dumm nur, dass die Thera nun krank geworden ist. Die Stimme am Telefon klingt nicht mehr so vertraut. Die Sorge darum, dass es ihr schlecht geht und wir nichts tun können, nimmt allen Raum ein. Und alles ist gleichzeitig da. Wir wollen da sein und uns kümmern können. Wir wollen kuscheln dürfen, ihre Nähe spüren. Sie soll sich ausruhen und schnell gesund werden. Am Telefon werden Worte gesprochen, dass sie im Bett bleiben soll wenn sie krank ist, dass es okay ist wenn wir uns dann nicht sehen. Innen sorgt die Sehnsucht nach ihr für Bauchkrämpfe, die sie nicht wissen soll.

Sie hat den Termin nicht abgesagt. Wir waren heute bei ihr. Und was soll ich sagen…………………………hallo Tretminenchoasfeld, hallo Sprengstoff, hallo Explosionen. Hurra, super, dass ihr alle noch da seid und so schön zuverlässig funktioniert. Wie schafft sie das eigentlich immer so toll, bei mir die Tretminen zu erwischen? Na ja, ich war ja irgendwie auch selbst schuld. Der Termin war eigentlich ganz gut . Ich hatte in jeder Sekunde damit gerechnet, Ärger zu bekommen, weggeschickt zu werden. Und dann habe ich festgestellt, dass sie gar nicht böse auf mich ist. Was sie gesagt hat, war eigentlich wunderschön. Wenn es uns so sehr schlecht geht und wir so gar nicht mehr weiterkämpfen wollen, dann möchte sie am liebsten immer bei uns sein, um aufzupassen und uns zu beschützen und dazubleiben bis es wieder vorbei ist. Oh ja, sie muss uns wirklich sehr gern haben. Aber nun ist das Dilemma ja, dass sie nicht immer bei uns sein kann und auch nicht immer erreichbar ist. Und dann wird die Angst um uns ganz doll schlimm groß. Tja, ihr Problem, nicht unsers. Na gut, so ist das nicht. Wir wollen nicht, dass sie Kummer wegen uns hat. Aber das ist eben nicht so einfach. Und wirklich eine Idee haben wir auch noch nicht.

Und wenn ich dann nicht noch unbedingt über ein anderes Thema hätte reden müssen, dann wäre alles gut gewesen. Dann hätte ich selig mit dem Gefühl gehen können, dass sie uns ganz doll lieb hat und einfach nur Ruhe braucht um ganz schnell gesund zu werden. Aber es kam ja ganz anders.

Wieder einmal das leidige Thema mit dem „Sie“. Sie hatte gesagt, sie hätte sich da etwas überlegt und wenn ich aus dem Loch draußen wäre könnten wir darüber sprechen. Nun denn, ich war ja draußen, also wollte ich es wissen. War doch der Wunsch und die Hoffnung so groß, sie hätte vielleicht endlich verstanden, dass es blöd ist, mich zu siezen. Ich hatte so sehr gewünscht, dass sie nicht mehr diese riesige Distanz zwischen uns schieben würde. Und dann kam alles anders. Da waren Worte wie „manchmal sagt mein Bauch, dass das Du stimmiger wäre“. Ja ja ja, ich finde das auch. 🙂 „Und ganz oft sagt der Bauch, dass das Sie angebracht ist“ 😦 „Und es wäre ja verwirrend, wenn ich dann immer nach meinem Bauchgefühl gehen würde. Und die Momente mit dem Sie überwiegen.“

Es rauscht nur noch in den Ohren, die Detonation der Tretminen, die Erschütterung, nur noch Schmerz, nur noch Einsamkeit, weggeschoben sein, auf Abstand gebracht. Hallo Loch, ich bin da, lass mich rein. Und jetzt nur nicht zeigen was abgeht. Sie hatte es ja geahnt, dass die Tretmine hochgehen würde. Was war ich dumm, zu glauben, es wäre gut über dieses Thema zu sprechen.

Rasend schnell ging es mal wieder. Ich allein ganz einsam im Loch. Nein, ich will sie nicht mehr sehen. Ich will nicht mehr zu ihr. Sie hat mich nicht gern, alles leere Worte, nichts ist wahr. Sie ist die Thera, ich die Klientin, sie hat mich gern, weil sie jeden Klienten gern hat. Andere wären nicht bei ihr. Sie hat grade deutlich gemacht, dass da die Grenze ist. Im Gedanken sehe ich alles wieder vor mir. Wie ich Schuhe und Jacke anziehen und gehen würde. Ich würde ins Auto steigen und Kilometer weit fahren, weg von ihr, weg von dem Schmerz des Abgelehntseins. Damals bin ich gelaufen und nicht gefahren. Aber es gibt so eine Vereinbarung, dass ich nicht einfach abbrechen darf. Ich müsste noch zum nächsten Termin kommen. Also musste ich irgendwie rauskommen ohne zu viel Anlass zur Sorge zu geben. Ich habe es sogar geschafft, sie darum zu bitten, mir zu sagen, dass das alles gar nicht so ist wie ich es gehört habe. Aber die Worte rauschen nur vorbei………………und sie darf es nicht mitbekommen. Alles ist so gekommen, wie ich es schon vorher befürchtet habe.

Es ist seit Monaten das erste Mal, dass wir zwei Tage keinen Kontakt haben werden. Wir haben seit Monaten an jedem Tag telefoniert an dem wir uns nicht gesehen haben. In heftigen Zeiten sogar mehrmals am Tag Kontakt gehabt. Und jetzt kommt grade alles zusammen. Sie ist krank und muss sich dringend mit ihrer dicken Erkältung Ruhe gönnen, was ganz klar heißt, dass sie nicht arbeitet, kein bisschen. Keine Mails wird sie lesen, keine SMS, nicht telefonieren. Kurzum sie wird absolut gar nicht erreichbar sein. Und das alles ausgerechnet jetzt, wo eh schon so deutlich geworden ist, dass wir nur ein Teil ihres Jobs sind, nur anstrengend und lästig. Wie bescheuert auch, dass wir immer so sehr wünschen, dass uns jemand wirklich als Mensch lieb hat. Können Theras das eigentlich überhaupt? Wollen die das denn? Dabei hat sich das doch vorher noch so angefühlt, bevor das alles mit Rums in die Luft geflogen ist.

Und nu, nun sitze ich da mit dem ganzen Enttäuschungs-Angst-Traurigkeits-Schmerz im Bauch und soll so tun, als wär die Welt rosarot. Und morgen wird die Familie der Liebsten zu Besuch kommen, liebevoll werden Teile von uns Kuchen backen und selbstverständlich so funktionieren, dass nicht zu merken ist, wie andere Teile gleichzeitig ihr Leben aufgeben, weil es ja doch so sinnlos ist und immer wieder der gleiche blöde Mist passiert. Weil wir immer wieder unser Herz an Menschen hängen, die uns nicht in ihrem Leben haben wollen.

Es tut mir leid, dass dieser Post heute ganz entgegen meiner eigentlichen Schreibweise nicht positiv und optimistisch endet. Auch das ist ein Teil meiner Seele …………………… die tiefe Einsamkeit und Todessehnsucht.

3 Antworten auf „Tretminenchaos

  1. Liebe Strandkrabbe,

    sehr interessiert habe ich diesen Artikel gelesen, wie viele von dir. Mchte dich unbedingt etwas fragen, damit ich es richtig kapieren kann. Du lebst in einer Partnerschaft, den du erzhlst ja immer von der Liebsten. Wenn dem so ist, dann msstest du doch Vertrauen, Nhe und die anderen Dinge bewusst mit ihr erleben. Also wrde ich das als eine Erfahrung einstufen. Was ich nun nicht verstehe ist, was anders mit deiner Therapeutin ist! Warum hast du dort die Nheprobleme und immer wieder die Angst vor dem Verlassen werden? Ich selbst habe die Probleme auch, aber bin in keiner Beziehung. Das heit, ich will mich an den einzigen Bezugs-Menschen klammern. So denke ich, dass ich diese Probleme vielleicht nicht htte, wenn mein Herz vergeben wre an jemand anderen, verstehst du? Hilf mir mal, das zu verstehen. Sei lieb gegrt von Kathrin

    1. Liebe Kathrin,
      vielen Dank für dein interessiert Lesen und Nachfragen. Es gibt vieles, was mir dazu durch den Kopf geht. So viel, dass ich denke, zu diesem Thema einen eigenen Artikel zu schreiben. Vielleicht kann ich dir dann besser und ausführlicher erklären, worin der Unterschied für mich liegt und wie es wirklich für mich ist.
      Soviel sei hier gesagt, es gibt viele Unterschiede zwischen der Beziehung zu meiner Therapeutin und meiner Partnerschaft, aber was die Punkte Näheprobleme und Angst vorm Verlassenwerden angeht, gibt es keinen. Ich erwähne meine Partnerin und die Schwierigkeiten die es in unserer Beziehung gibt hier einfach nicht so oft. Aber das werde ich im neuen Artikel versuchen deutlicher zu machen. Und ich hoffe sehr, dass ich dir dann damit helfen kann, zu verstehen. LG Strandkrabbe

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